Die Sturmreiterin - Hennen, B: Sturmreiterin
die Kammer ihres Onkels befanden.
Zögerlich drückte sie die Klinke hinab. Der General stand gegenüber dem Eingang an einem Fenster und blickte auf den dunklen Hof. Er schien sie nicht bemerkt zu haben. Leise schloss sie die Tür wieder hinter sich und wartete. Der beißende Geruch von Siegellack lag in der Luft.
»Setze Sie sich!«, ertönte es schneidend kalt vom Fenster.
»Was … Warum hast du mich rufen lassen?« Gabriela war mehr verwundert als erschrocken. Seit Monaten hatte ihr Onkel nicht mehr in diesem Ton mit ihr gesprochen und diese unpersönliche Form der Anrede verwendet.
»Nicht Sie sollte hier die Fragen stellen. Meine Geduld mit ihr ist heute an ihr Ende gelangt. Doch vielleicht hat sie mir etwas zu sagen?«
Gabriela trat zu dem Sessel vor dem Kartentisch und ließ sich nieder. Was war nur in ihn gefahren? Und was zum Henker sollte sie ihm sagen?
»Nun? Fällt Ihr nichts ein, worüber wir zu reden hätten?«
»Was soll das, Onkel? Ich wüsste nicht, worüber ich dir Rechenschaft ablegen sollte.«
Mit einem Ruck drehte er sich um. Eine tiefe Falte teilte seine Stirn von der Nasenwurzel bis zum Ansatz der Perücke. Sein wütender Blick war geradezu körperlich spürbar. »Ich stelle fest, dass sie nicht einmal das geringste Anzeichen von Reue zeigt. Wie sehr ich mich doch in ihr getäuscht habe!«
»Was ist los mit dir, Onkel? Wovon redest du?«
»Janosch Plarenzi!«
Ihre Hände verkrampften sich in den brokatbezogenen Armlehnen des Sessels. »Janosch«, wiederholte sie leise. »Er ist hier?« Sie erinnerte sich an das unheimliche Gefühl, beobachtet zu werden, als sie aus dem Dom getreten war.
»Anastasia Rukow. Was hatte sie Ihr getan?«
»Ich kenne keine Frau dieses Namens.«
»Nicht?« Dem General stieg die Zornesröte ins Gesicht. »Selbst jetzt, wo all ihre Lügen offenbar sind, mag sie mir also nicht die Wahrheit sagen! Ihre Intrige ist ans Tageslicht gerückt! Erzähle Sie mir nicht, dass sie den Namen der Frau nicht kannte, der sie die Kehle von einem Ohr zum anderen durchgeschnitten hat.«
»Niemals habe ich ein derartiges Verbrechen begangen! Wie kannst du diesem Bastard und seinen Verleumdungen mehr Glauben schenken als mir?«
Der General schüttelte den Kopf. »Ihr Glauben schenken? Ja, Sie ist Blut von meinem Blute … und dennoch werde ich in meinem Leben nicht mehr den Fehler begehen, Ihr zu glauben. Fast ein Jahr hätte Sie Zeit gehabt, mir zu erzählen, was Sie getan hat. Stattdessen hat Sie mich unwissend zu Ihrem Komplizen bei dieser Bluttat gemacht! Ihre Frist ist abgelaufen und … «
»Ich habe doch versucht, es dir zu sagen! Am Flussufer, erst vor zwei Wochen wollte ich dir alles erklären … die Lügen über die Marodeure und die Türken aus der Welt schaffen. Doch du hast mir den Mund verboten. Du wolltest es nicht wissen! Und was hättest du getan, wenn ich dir gleich alles erzählt hätte, als ich nach Olmütz kam? Hättest du mich in deinem Haus aufgenommen? Ja, ich gestehe, ich war auf der Flucht. Doch bin ich nicht vor einem Mord davongelaufen, sondern vor einem Mann, der mich mit dem Messer bedrohte und mich töten wollte. Er wollte mich dazu zwingen, ihm zuzusehen, wie er mit einer Schankmaid in unserem Ehebett Unzucht treibt. Dem Bett, in dem mein Vater gestorben ist. Ich habe ihn niedergeschossen! Das gestehe ich … Und ich habe ihn für tot gehalten. Aber das Weib, das er herangeschleppt hat, habe ich nicht getötet. Ich hatte nicht einmal das Messer in der Hand … «
»Lügen! Alles Lügen!«, fauchte der Kommandant und hieb mit seinem Offiziersstab so heftig auf dem Tisch, dass er zerbrach. »Auf diesen Dreckskerl, den mein Bruder Ihr zum Gatten auserkoren hat, gebe ich keinen Pfifferling … Aber ich selbst habe das Schreiben gesehen, das der Gerichtsschreiber von Orschowa aufgesetzt hat. Man klagt Sie des Mordes an. Das heißt, ehrbare Diener Ihrer Majestät sind zu dem Schluss gekommen, dass Sie schuldig ist. Sollen auch sie vielleicht Lügner sein?«
»Auch mein Mann ist als Oberstzollmeister ein ehrbarer Diener ihrer Majestät. Doch scheinst du für ihn nicht viel übrigzuhaben! Wie kannst du dann einem Gerichtsdiener trauen, der vielleicht sein Saufkumpan ist?«
»Genug! Ich dulde nicht, dass Sie noch weiter die Diener Ihrer Majestät beleidigt. Nehme sie zur Kenntnis, dass sie von Stund an nicht mehr für mich existiert.« Mit einem Seufzer stützte er sich auf den Tisch auf. »Ihren Mann habe ich für zwei Tage in Eisen legen
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