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Die Sünde der Brüder

Die Sünde der Brüder

Titel: Die Sünde der Brüder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Diana Gabaldon
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versicherte er Grey. »Mein Vater war selbst bei der Hinrichtung dabei.«
    »Hinrichtung?«, wiederholte Grey erschrocken. »Wessen Hinrichtung?«
    »Von Friedrichs Geliebtem.« Der Graf lachte jetzt nicht mehr, doch er lächelte schief. »Als er ein junger Mann war, hat
ihn sein Vater - der damalige König - gezwungen, in die Armee einzutreten, obwohl ihm das zuwider war. Er konnte kein Blut sehen. Doch er hat große Zuneigung zu einem anderen jungen Soldaten entwickelt, und die beiden haben beschlossen, gemeinsam aus dem Land zu flüchten.«
    »Aber man hat sie natürlich erwischt«, sagte Grey mit einem plötzlichen Gefühl der Leere hinter seinem Brustbein.
    »Natürlich«, nickte Stephan. »Man hat sie zurückgebracht, sie beide der Fahnenflucht und Desertion angeklagt, und der alte König hat Friedrichs Geliebten im Innenhof köpfen lassen - und Friedrich gezwungen, vom Balkon aus zuzusehen. Mein Vater sagt, er ist ohnmächtig geworden, bevor der Schwerthieb fiel.«
    Greys Gesicht fühlte sich plötzlich kalt an, und der Schweiß kribbelte auf seinem Kinn. Er schluckte krampfhaft, um das Schwindelgefühl niederzuzwingen.
    »Es war wohl die Rede davon«, fuhr von Namtzen beiläufig fort, »dass Friedrich möglicherweise das gleiche Schicksal drohte, Sohn oder nicht. Doch schließlich …«
    »… hat er sich in das Unvermeidliche gefügt und ist nicht nur Soldat geworden, sondern ein großer Soldat.«
    Von Namtzen schnaubte verächtlich.
    »Nein, aber nach einem Jahr im Gefängnis hat er in eine Ehe eingewilligt. Er hat seine Frau zwar ignoriert und ignoriert sie nach wie vor. Und es gibt keine Kinder«, sagte er missbilligend. »Doch er ist verheiratet«, sagte er schulterzuckend.
    »Sein Vater hat ihm das Schloss in Rheinsberg überlassen, und dort hat er sich viele Jahre mit Musikern und Schauspielern umgeben, aber dann -« Wieder zuckte er mit der Schulter. »Dann ist der alte König gestorben.«
    Und Friedrich, dem plötzlich bewusst wurde, dass sein Erbe aus mehreren ebenso begehrenswerten wie angreifbaren Landstrichen bestand, die nicht miteinander verbunden waren und von den Habsburgern in Österreich beäugt wurden, war in aller Eile Soldat geworden. Daraufhin hatte er seine Territorien vereinigt, den Österreichern Schlesien gestohlen und war
vor zwei Jahren zu allem Überfluss in Sachsen eingefallen, womit er sich nicht nur die Österreicher und die Sachsen, sondern zudem die Russen, die Schweden und die Franzosen zum Feind gemacht hatte.
    »Und hier sind wir nun«, schloss von Namtzen.
    »Der Herr macht jedenfalls keine halben Sachen.«
    »Nein. Und ein Dummkopf ist er ebenso wenig. Ganz gleich, wem seine Zuneigung heute gehört, er hält es geheim«, sagte Stephan grimmig. Dann schüttelte er den Kopf wie ein Hund, der sich das Wasser aus dem Fell schüttelt. »Kommt, es wird bald dunkel.«
    Es würde tatsächlich bald dunkel sein; schon jetzt schien die Luft zwischen den Bäumen dicker zu sein, als zöge sich der Wald in sich selbst zurück. Der Pfad vor ihnen war zwar noch zu sehen, doch als sie jetzt wieder zwischen die Bäume eintauchten, schien der Boden unter ihren Füßen jede Substanz zu verlieren. Steine und Graspflanzen waren zwar so gut wie unsichtbar, aber unerwartet hart.
    Es wurde derart anstrengend zu gehen und dabei nicht zu stolpern, dass sie sich nicht mehr unterhalten konnten und Grey Zeit hatte, über die Geschichte vom Preußenkönig und seinem Geliebten nachzudenken - und über die Ironie, dass man Letzteren nicht wegen fleischlicher Vergehen oder wegen der Verführung seines Prinzen hingerichtet hatte, sondern wegen Landesverrats. Während Hauptmann Bates … er fühlte sich, als beobachteten ihn dessen sardonische Augen vom Wald aus, und er eilte voran, weil er die Dunkelheit dicht auf seinen Fersen spürte.
    Damit war er nicht allein. Er konnte von Namtzens Unruhe spüren; konnte sie den ungeschickten Bewegungen seiner breiten Schultern ansehen, deren Haltung angespannt war, als fürchtete er einen Verfolger.
    Endlich erreichten sie den Rand der Lichtung, auf der das Haus stand, und traten beide gleichermaßen erleichtert in den sanft-violetten Dunst hinaus, einen Rest von Licht, den der Wald noch in der offenen Hand hielt.

    Sie blieben kurz stehen, um sich zu sammeln. Von Namtzen wandte sich dem Haus zu, doch Grey legte ihm die Hand auf den Arm.
    »Zeig ihn mir, Stephan«, sagte er plötzlich und überraschte sie damit beide.
    Von Namtzens Gesicht verlor jeden

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