Die Sünde des Abbé Mouret
zu ihrem Bruder schon an der
Eßzimmertüre. Als sie ihn hereingelassen hatte und die Schranke
hinter ihm schloß, verschwand sie fast in
dem Ansturm. Schnatternd und klappernd mit ihren Schnäbeln, zogen
sie die Enten und Gänse an den Röcken; die gefräßigen Hühner
hüpften nach ihren Händen unter heftigem Gepick, die Kaninchen
schmiegten sich um ihre Füße und sprangen ihr an den Knien herauf,
während drei Katzen ihre Schultern erkletterten und die Ziege aus
dem Stallinnern blökte, weil sie nicht zu ihr hinkonnte.
»Laßt mich in Ruh', ihr Tiere,« rief sie, ganz durchschüttelt
von frohem Gelächter und gekitzelt von der Berührung all der
Federn, Pfoten und Schnäbel.
Aber sie tat nichts, um sich frei zu machen. Sie hätte sich
fressen lassen, sagte sie, und süß war es ihr, dies Leben gegen
sich prallen zu fühlen und in Flaumwärme gehüllt zu sein. Am Ende
blieb nur eine der Katzen ihr eigensinnig auf dem Nacken
liegen.
»Es ist Murr, mit den Sammetpfoten,« sagte sie.
Dann setzte sie stolz hinzu, ihrem Bruder den Hof zeigend:
»Sieh nur, wie sauber!«
Der Hof war in der Tat gekehrt, gescheuert und geharkt. Diesen
trüben Wässern, der umgeschüttelten Streu entströmte ein so
wildstarker Geruch, daß es dem Abbé Mouret den Atem verschlug. Der
Mist war an die Kirchhofmauer zu einem ungeheuer rauchenden Haufen
aufgeschichtet.
»Sieh, die Menge!« fuhr Desiderata fort und zerrte ihren Bruder
in die beißenden Dämpfe. »Alles habe ich selbst hingetan, niemand
hat mir geholfen … Geh, es schmutzt nicht, reinigt sogar. Sieh
dir meine Arme an.«
Sie streckte die Arme von sich, die sie nur in einem Wassereimer abgespült hatte, königliche Arme von
vollendeter Rundung, erblüht wie weiße große Rosen aus dem
Mist.
»Doch, doch,« murmelte der Priester. »Du hast ordentlich
gearbeitet. Sehr hübsch nimmt es sich jetzt aus.«
Er ging auf die Holzschranke zu; aber sie vertrat ihm den
Weg.
»Warte doch! Du mußt alles betrachten. Du ahnst ja nicht… «
Sie zog ihn in den Schuppen vor den Kaninchenstall.
»In allen Abteilungen sind Junge,« sagte sie, vor Entzücken in
die Hände klatschend. Sodann erklärte sie ihm lang und breit die
einzelnen Familienzusammenhänge. Er mußte sich hinkauern und die
Nase an das Gitter drücken bei der Erörterung genauester
Einzelheiten. Die Mütter mit den bebenden großen Ohren warfen
seitlich schielende Blicke und saßen furchtgebannt. Der nächste
Kasten zeigte eine pelzige Höhlung und davor eine lebendig
geknäulte, schwärzlich unbestimmbare Masse, die hörbar Atem holte,
wie ein einziges Geschöpf. Nebenan wagten die Jungen mit ihren
großen Köpfen sich bis an den Rand des Käfigs. Noch weiter waren
sie schon ganz kräftig, glichen jungen, beweglich-spürenden Ratten,
die Rückseite mit den weißen Schwanzfleckchen besteckt. Voll
spielerischer Kinderanmut waren sie, rannten an den Abteilungen
entlang, Weiße mit Augen aus mattem Rubin, Schwarze mit Augen wie
Jettknöpfe. In wilder Angst stoben sie plötzlich davon, jeder
Sprung ließ die zarten, von ihren Ausscheidungen geröteten Läufe
sehen. Dann setzten sie sich in einen Haufen zusammen, so dicht,
daß die Köpfe nicht mehr zu sehen waren.
»Vor dir haben sie Furcht, mich kennen sie
genau,« sagte Desiderata.
Sie lockte sie und zog aus ihrer Tasche einige Brotkrusten. Die
jungen Kaninchen beruhigten sich und hoben sich eins nach dem
anderen, schräg, mit gekräuselter Nase, am Gitter empor. Dort ließ
sie sie ein wenig verbleiben, um ihrem Bruder das rosige
Bauchfellchen zeigen zu können. Dann überließ sie dem Frechsten die
Kruste. Daraufhin kam die ganze Bande angelaufen, sich stoßend und
überkugelnd, aber ohne sich zu zanken, drei Junge bissen manchmal
an der gleichen Kruste, einige flohen und duckten sich nach der
Wand, um ungestört zu essen; im Hintergrund vernahm man immer noch
das laute Atmen der Mütter, die mißtrauisch die Krusten
verschmähten.
»Oh, die Leckermäuler!« rief Desiderata, »bis morgen möchten sie
so weiterfuttern. Nachts kann man hören, wie sie an den
übriggebliebenen Blättern knuspern.«
Der Priester hatte sich erhoben; sie aber wurde nicht müde, den
Kleinen zuzulächeln.
»Betrachte dir das große da hinten, das ganz weiße mit den
schwarzen Ohren, denk dir nur! Mohnblumen liebt es. Mit Sicherheit
sucht es sie unter den anderen Pflanzen heraus. Neulich bekam es
Koliken davon. Es ging ihm recht übel. Da nahm ich es, hielt es
warm in meiner Tasche. Seit
Weitere Kostenlose Bücher