Die Sünde
Robert Pfaff hinter allem steckt«, gab Yalcin zu bedenken.
Nawrod und Wegner sahen sich verwundert an. »Wie kommen Sie denn auf diese absurde Idee?«, fragte Wegner.
»Pfaff ist derjenige, der bislang am meisten von der Sache profitiert hat. Ich schätze, er hat schon an die hunderttausend Euro oder mehr damit verdient. Vielleicht hat er den Plan sowie die äußerst medienwirksame Story ausgeheckt. Er lässt den Skinhead die Drecksarbeit machen und benutzt Haider nur, um ihn als Quelle nennen und damit als Schutzschild aufstellen zu können, wenn es ihm an den Kragen gehen sollte. Dass Haider seine Angehörigen bisher als Botinnen eingesetzt hat, käme Pfaff im Falle polizeilicher Ermittlungen natürlich sehr gelegen.«
Nawrod schmunzelte. »So perfide können nur Frauen denken. Aber alle Achtung, du könntest durchaus recht haben.«
»Die Sache hat einen Haken«, brummte Wegner und schüttelte seinen mächtigen Kopf. »Wieso nimmt der Skinhead ausgerechnet einen Gottwald Radecke aus dem 700 Kilometer entfernten Berlin als Geisel und wie bringt er ihn hierher? Das wäre für einen Skinhead viel zu aufwendig. Diese arbeitsscheuen Typen machen doch keinen Finger krumm, wenn es nicht unbedingt sein muss.«
Yalcin überlegte kurz. Zu gerne hätte sie Wegner gesagt, dass es in der Hackerszene einige äußerst fähige Spezialisten gab, die Leute wie er als Skinheads bezeichneten, nur weil ihr Aussehen von der Norm abwich und sie deswegen keine Arbeitsstelle fanden.
»Vielleicht will man noch eine alte Rechnung begleichen. Möglicherweise hat sogar Pfaff ihm hierzu den Auftrag erteilt.«
»Hm«, brummte Wegner. »Wir werden sehen, wie sich der Fall weiterentwickelt. Die Soko arbeitet mit Volldampf. Irgendwann muss der Durchbruch kommen. Unsere Tatverdächtigen verhalten sich ungewöhnlich ruhig. Ich habe das Gefühl, dass wir heute kein Paket bekommen.«
»Ihr Wort in Gottes Ohr, Herr Wegner«, entgegnete Nawrod skeptisch und trank seinen Kaffee aus. »Dann hätten wir vielleicht auch etwas mehr Zeit, den Fall zu lösen, bevor Radecke umgebracht wird.«
Yalcin und Nawrod erhoben sich. »Daran darf ich gar nicht denken«, erwiderte Wegner. »Wir müssen diese Killer vorher fassen und unschädlich machen.«
41
Radecke erwischte es am siebten Tag seiner Gefangenschaft. Längst schon hatte er jegliches Zeitgefühl verloren. Sein gescheiterter Fluchtversuch setzte ihm schwer zu. Ihm war klar, dass er seine einzige Chance verspielt hatte. Keiner von den beiden würde mehr allein die Zelle betreten und sich von ihm überraschen lassen. Sie würden immer zu zweit kommen. Radecke lag auf der Pritsche und starrte an die Decke. Plötzlich begannen sich Decke und Wände zu bewegen. Zuerst schien es nur, als ob sie schief werden würden. Doch nach kurzer Zeit verwandelten sich die glatten Flächen in wellenartige Monster, die ihn bedrohten. Radecke riss die Augen weit auf. Das Deckenlicht, an das er sich inzwischen gewöhnt hatte, blendete ihn auf einmal, doch er konnte seine Augen nicht schließen. Grelle Strahlen, die durch Netzhaut und Iris drangen, schienen sein Gehirn bis zum Zerplatzen aufzublähen. Er hätte gern die Augen mit den Händen geschützt, aber die brauchte er, um die immer größer werdenden Monsterwellen, die ihn jetzt erdrücken wollten, von sich wegzuschieben. Radeckes Puls raste. Seine Adern drohten zu zerplatzen. Er rang nach Luft, von der es immer weniger gab, weil die Wellen immer mehr Raum einnahmen und die Zelle bis auf wenige Kubikzentimeter schrumpfen ließen. Kehlige Laute kamen aus seinem Mund. Zum Schreien hatte er nicht mehr genügend Luft in der Lunge. In der Hoffnung, auf dem Boden Rettung zu finden, ließ er sich von der Pritsche rollen. Doch die braunen Fliesen waren voller Ungeziefer. Kakerlaken, Spinnen und Käfer, die er noch nie in seinem Leben gesehen hatte, krabbelten auf ihn zu und überdeckten seine nackte Haut. Ein grünes Reptil kam aus dem Abflussrohr gekrochen. Er sah es ganz deutlich. Es wurde immer größer und schnappte nach seinem rechten Fuß.
Radeckes Körper verkrampfte sich. Jeder Knochen, jede Sehne und jeder Muskel taten ihm weh. Die kleinste Bewegung verursachte wahnsinnige Schmerzen. Selbst das Zucken des Körpers, als er weinte. Er blieb auf dem Boden liegen. Sein einziger Wunsch war Erlösung, in welcher Form auch immer. Bevor sein Gehirn die Belastung nicht mehr verarbeiten, nicht mehr aushalten konnte, sah er den Tod mit einer abgrundtiefen hässlichen
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