Die Sünde
an, dass ihm sein Abteilungsleiter alle Fälle zuteilt, in denen vorerst kein Täter bekannt ist.«
»Wieso das denn?«, fragte Yalcin verwundert.
»Weil die Verfahren, bei denen der Täter unbekannt ist, am leichtesten zu bearbeiten sind. Brügge hat dafür bestimmt einen Standard-Bescheid, den er, ohne einen Finger zu krümmen, den Geschädigten nach ein paar Wochen zuschickt. In der Zwischenzeit hortet er die Vorgänge auf seinem Schreibtisch, um bei seinen Kollegen den Eindruck zu erwecken, er würde in Arbeit ersticken.«
Yalcin schüttelte ungläubig den Kopf, während Nawrod fortfuhr: »In unserem Fall lief die Sache ja so an, dass es weder einen Täter noch ein Opfer gab. Wir hatten lediglich einen abgetrennten Zeigefinger. Dieser Vorgang schrie geradezu nach einem Staatsanwalt wie Brügge.«
»Übertreibst du da nicht ein bisschen? Der Mann kann doch nicht blöd sein. Immerhin hat er ein Jurastudium erfolgreich hinter sich gebracht.«
»Das heißt noch lange nicht, dass er ein guter Staatsanwalt sein muss. Ich kenne sogar Richter, die noch größere Pfeifen sind als Brügge. Das sind Leute, die vielleicht sogar ein sehr gutes Studium hinter sich haben, aber total weltfremd sind. Ich habe mal einen Richter erlebt, der den Zeugen immer und immer wieder die gleichen sinnlosen Fragen gestellt hat, nur um Zeit zu schinden und am Ende das mildeste Urteil zu fällen, das vorstellbar ist. Damit beugte er Berufungen oder Revisionen vor. Staatsanwälte und Richter kennen sich untereinander. Oft ist es die reinste Schmierenkomödie, die sie bei einer Verhandlung abziehen. Der schwache Staatsanwalt ist froh, wenn der schwache Richter ein mildes Urteil fällt. Denn dann haben alle was davon. Der Verteidiger ist in den Augen seines Mandanten ein toller Hecht, und die Herren Staatsdiener haben den Fall vom Tisch.«
»Und wir sind die Wasserträger in diesem Schauspiel?«
»Nicht ganz. Es liegt allein an dir, was du aus deiner Rolle als Bulle machst. Wenn du gut sein willst, arbeitest du deine Fälle so aus, dass die Herrschaften nicht anders können, als den Täter angemessen zu bestrafen. Das sollte stets dein Ziel sein.«
»Ich werde es mir hinter die Ohren schreiben.«
»Nawrod, Ihre Eigenmächtigkeit hat mir überhaupt nicht gefallen«, empfing sie Wegner mit verärgertem Gesicht. »Das nächste Mal warten Sie, bis …«
»In einer Stunde haben wir die Beschlüsse«, unterbrach Nawrod den Soko-Leiter. »Wir dürfen keine Zeit verlieren!«
»Was sagen Sie da?«, stieß Wegner ungläubig hervor.
»Wir müssen alles mobilisieren, was Beine hat«, antwortete Nawrod ernst. »Brügge hat sich nach Ihrem Anruf aus dem Staub gemacht. Oberstaatsanwalt Steinmann sicherte zu, dass wir um 19 Uhr die Beschlüsse auf dem Tisch haben.«
»Steinmann?«, erwiderte Wegner ungläubig. »Der ist doch Abteilungsleiter für Rauschgiftdelikte. Wieso er?«
»Er hat heute Bereitschaft und sprang für Brügge ein.«
»Zum Glück«, sagte Yalcin freudig.
»Er erwartet, dass wir Haider und Pfaff noch heute hochnehmen«, schwindelte Nawrod. »Damit werden wir diese Bande von Psychopathen gewaltig durcheinanderwirbeln. Ich bin sehr zuversichtlich, dass wir bei den Durchsuchungen Hinweise auf Radeckes Versteck finden.«
Wegner wurde blass, schüttelte den Kopf und griff sich an die Brust. »Mein Gott, Nawrod!« Sekundenlang war er zu keiner Reaktion fähig. Unentschlossenheit spiegelte sich in seinem Gesicht. Seine Stimme klang alt und brüchig, als er sagte: »Ich weiß nicht so recht. Ich denke, wir warten lieber bis morgen. Dann wissen wir, was es mit diesem Philipp Otte auf sich hat.«
»Wir müssen diese Verbrecher sofort hochnehmen. Jede Minute kann entscheidend sein«, stieß Nawrod entschlossen hervor.
Wegner atmete tief durch und straffte seinen müden Körper. So, als wolle er noch einen letzten Versuch starten, Nawrod von seinem Vorhaben abzubringen, fuhr er fort: »Wir haben auch eine neue und meines Erachtens sehr wichtige Spur. Kollege Kunze hat alle Zoos im Umkreis von 200 Kilometern sowie die tierärztlichen Vereinigungen in Baden-Württemberg, Hessen und Rheinland-Pfalz per E-Mail angeschrieben. Soeben erhielt er die Nachricht, dass im Frankfurter Zoo vor einigen Wochen der gesamte Bestand an Etorphin inklusive des dazugehörigen Betäubungsgewehrs gestohlen wurde. Der Verdacht fiel auf einen Markus Schaller, der dort als Tierpfleger arbeitete und ein paar Tage nach dem Diebstahl nicht mehr an seiner
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