Die Sünde
verfolgen.
»Hast du ihn weggebeamt?«, kam es hektisch aus dem Mund des Fahrzeuglenkers. Er überlegte fieberhaft.
»Ja, er schläft wieder fest«, antwortete der andere. »Soll ich die Decke über ihn legen, damit ihn die Bullen nicht sehen, wenn sie reinschauen?«
»Das Erste, was die machen, ist die Decke zurückzuschlagen. Und dann sind wir geliefert.«
»Sind wir sowieso.«
»Red keinen Scheiß! Überleg lieber, wie wir aus dem Schlamassel herauskommen! Wir haben nicht mehr viel Zeit. Bald sind wir an der Reihe.«
»Wir könnten sagen, unser Freund schläft, was ja auch stimmt«, erwiderte er wenig überzeugend.
Der andere überlegte. »Keine schlechte Idee. Pass auf, was ich dir jetzt sage: Wir haben doch noch ’ne halbe Flasche Jim Beam. Nimm einen kleinen Schluck. Nein, stopp, steck dir erst deinen Finger in den Hals und kotz Radecker von oben bis unten voll.«
»Bist du verrückt, wie soll denn das gehen?«
»Tu, was ich dir sage, oder willst du in den Knast wandern? Du steckst dir jetzt sofort den Finger in den Hals. Erinnere dich meinetwegen daran, was das Schwein dir angetan hat. Aber mach hinne! Anschließend gießt du den Whisky über ihn und dich. Dann legst du dich auf den Boden und spielst den Betrunkenen. Hast du kapiert?«
»Aber …«
»Nichts aber! Das ist unsere einzige Chance.«
Zuerst sträubte sich sein Magen, dem von der Kehle kommenden Reiz nachzugeben. Der Verdauungsapparat zog sich nur etwas zusammen. Auch beim zweiten Mal klappte es nicht. Daraufhin nahm er einen großen Schluck aus der Flasche und steckte anschließend seinen Mittelfinger so weit in den Hals, dass er die Stimmbänder berührte.
Der Whisky roch noch frisch. Aber was danach kam, hatte jenen ekligen, säuerlichen Geruch, der, ob er es wollte oder nicht, bei ihm schon immer schlagartig Übelkeit hervorrief. Sämtliche Dämme brachen. Er kübelte Radecke direkt ins Gesicht und auf die Brust. Es war ein mit kleinen Brocken durchsetzter gelblichbrauner Brei, der so unappetitlich aussah, dass sich bei dessen Anblick sein Magen noch einmal hob und sich des allerletzten Speiserestes entledigte.
Er drehte sich weg und schloss kurz die Augen. Dann nahm er noch einen Schluck Jim Beam, goss den Rest über sich und Radecke. Anschließend legte er sich langgestreckt auf den Boden des Wohnmobils und tat, als schliefe er.
21
Sankt-Damians-Kirche Heidelberg
31. April 1993
Es tut heute sehr weh. Auch der andere Junge stöhnt vor Schmerzen. Warum tut das so weh und warum müssen sie beide so schlimm büßen? Sie haben doch gar nichts getan. Ihre Sünden haben sie immer gebeichtet und auch artig bereut. Aber was sie jetzt machen, ist eine Todsünde. Es ist ein Werk des Satans, von dem man nicht loskommt. Auch nicht, wenn man diese Todsünde beichtet.
»Beichte es niemals«, sagt der Pfarrer heute wieder. Er hat es schon sehr oft gesagt.
»Es nützt nichts, hörst du?« Er packt ihn an der Schulter und schüttelt ihn. Die anderen beiden stimmen ihm zu.
»Nur wir können euch vom Satan und all seinen Werken befreien«, sagt der andere. »Aber bis es so weit ist, müsst ihr euch noch gedulden und machen, was wir euch sagen.« Hat er dabei etwa gelacht?
»Da können wir auch nichts machen«, sagt der Dritte. »Der Teufel ist mächtig, fast so mächtig wie der liebe Gott. Ihr wisst ja, dass er den kleinen Benjamin schon geholt hat. Also passt auf, dass er euch nicht auch noch holt. Habt ihr das verstanden?«
Mit den kleinen Händen bedecken sie ihre Scham und schauen zu Boden. Angst und Starre geben sich die Hand. Die Angst ist immer zuerst da. Ihr folgt die Starre. Sie antworten nicht. Die Ohrfeige tut nicht so weh wie das andere vorhin. Auch nicht der feste Griff im Genick. Es ist der Pfarrer mit den blonden Haaren und der eklig weißen Haut. Er ist es, der ihm bei der Sünde so weh tut.
»Hast du nicht gehört, du kleine Kröte?« Er kann nur nicken, weil ihm der Teufel wieder seine Stimme gestohlen hat.
»Lass ihn!«, sagt der große Pfarrer.
»Die verraten schon nichts«, sagt der Dritte. »Zieht euch an! Macht schnell. Ihr dürft nicht zu spät nach Hause kommen.«
Er bekommt einen Klaps auf den Hinterkopf.
Sie würden gerne rennen. Es geht aber nicht, weil es dann noch mehr weh tun würde. Sie schauen sich nur ein paarmal an und sagen nichts, bevor sie sich trennen.
»Du kommst spät«, wirft ihm die Mutter vor. »Wo warst du so lange?«
Er versucht zu erklären, dass er mit den anderen Fußballspielen
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