Die Sünde
Verfahrens, wie es in der Strafprozessordnung so schön heißt, wird Brügge im schlimmsten Fall anordnen, dass wir die beiden zuerst einmal zur Sache befragen und ihm anschließend die Akte vorlegen müssen.«
»Das wäre doch kriminalistischer Schwachsinn, oder? Die wären dann gewarnt und würden alle Beweismittel verschwinden lassen.«
»Du sagst es. Drum bete mal schön zu deinem Allah, dass wir Brügge überzeugen können, in unserem Interesse zu entscheiden.«
»Können wir, wenn der Sesselfurzer tatsächlich nicht nach unserer Pfeife tanzt, nicht einen anderen Staatsanwalt einschalten?«
»Man kann gegen Brügges Entscheidungen Beschwerde einlegen, ändern würde das nicht viel. Da verhält es sich wie bei den Ärzten: Eine Krähe hackt der anderen kein Auge aus. Der nächste Staatsanwalt würde nicht viel anders entscheiden.«
»Unglaublich!« Yalcin schüttelte entrüstet den Kopf.
»Wenn ich einen guten Draht zu dem zuständigen Richter hätte, könnte ich hinter Brügges Rücken vorab mal checken, wie der zu dem Fall steht«, fuhr Nawrod nachdenklich fort. »Gibt er grünes Licht, würde Brügge zwar beleidigt sein, sich aber hüten, anders zu entscheiden, denn dann müsste er befürchten, dass ihm der Fall entzogen wird. Dies wiederum würde aber seinem Ansehen gewaltig schaden.«
Nawrod griff zum Telefon. Zwei Minuten später war Oberkommissar Hauk zur Stelle. Nachdem er sich in die E-Mails eingelesen hatte und von Nawrod über die sonstigen Beweise informiert worden war, klatschte er zweimal kräftig in die Hände, grinste über das ganze Gesicht und sagte im Brustton der Überzeugung: »Na, dann legen wir mal los. Wäre doch gelacht, wenn wir Brügge nicht in die Ecke drücken könnten. Ich sehe ihn bereits vor mir, wie ihm der Schweiß aus allen Poren dringt.« Hauk lachte. »Der hatte schon immer gewaltig Schiss vor der Presse. Wenn wir jetzt in dieses Wespennest stechen, wird ihm der Arsch auf Grundeis gehen.«
24
Gottwald Radecke saß regungslos da. Er war müde und hatte Durst. Die Zunge klebte ihm am Gaumen. Obwohl ihm übel war und ihm der säuerliche Geruch von Erbrochenem in die Nase stieg, hätte er gerne etwas gegessen. Sein Magen knurrte.
Offensichtlich habe ich mich übergeben, dachte er. Und jetzt habe ich nichts mehr im Bauch. Wo bin ich, was ist geschehen?
Er wollte aufstehen, doch seine Arme und Beine waren mit stählernen Schließen an den schweren Eichenstuhl gefesselt, auf dem er saß. Er schaute sich um. Die Rollläden an beiden Fenstern des Raumes waren heruntergelassen. Vor ihm, in etwa drei Metern Entfernung, stand ein Tisch und dahinter ein Stuhl. Ein zweiter Stuhl befand sich in Reichweite rechts neben ihm. Sonst gab es kein weiteres Mobiliar. Für die spärliche Beleuchtung sorgten zwei große, dicke Kerzen auf goldverzierten Ständern.
»Hallo, ist da wer?«, rief er mit schwacher Stimme. Er wartete. »Hallo, hallo!«, rief er noch einmal. Dieses Mal lauter. Stille, absolute Stille. Er versuchte, sich zu erinnern. Seine Mittagspause. Die Sauna. Der junge bildhübsche Stricher mit den langen blonden Haaren. Das Wohnmobil. Weiter reichte sein Gedächtnis nicht. Er konnte sich keinen Reim auf das Ganze machen. War er in die Fänge eines Schwulen geraten, der eine besondere Vorliebe für sadomasochistische Spiele hatte? Hätte er das geahnt, hätte er sich ganz bestimmt nicht abgeneigt gezeigt. Denn auch er liebte gewisse Praktiken, hart an der Grenze von Lust und Schmerz. Die Vermischung dieser beiden Gefühle entfachte stets ein Feuer in ihm, das ihm unglaubliche Höhepunkte bescherte. Daniel Weiß, seinen Lebenspartner, konnte er leider nie zu solchen Spielen überreden. So blieb ihm nichts anderes übrig, als gelegentlich die Dienste eines männlichen Prostituierten in Anspruch zu nehmen, der sich auf Sadomasochismus spezialisiert hatte.
Als Radecke ein drittes Mal »Hallo, ist da wer?« rief, öffnete sich hinter ihm eine Tür. Er hörte Schritte. Zwei Männer betraten den Raum. Der eine blieb neben dem Stuhl stehen, der rechts von Radecke stand. Er trug eine grüne Uniform und eine dazu passende Mütze. Auf den Schulterklappen der Jacke sah Radecke zwei silberne Sterne. Der Uniformierte hatte einen langen Polizeiknüppel in der rechten Hand, den er zweimal leicht auf seinen linken Handteller schlug. Mit verkniffenen Augen und zusammengepressten Lippen sah er Radecke drohend an.
Der andere Mann ging an ihm vorbei und stellte sich hinter den Tisch. Er war mit
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