Die Sünde
brüllte ihn der Uniformierte von der Seite an.
»Und woher kennen Sie ihn?«
»Von früher, Euer … Euer Ehren.« Radecke stöhnte. Sein Gesicht war schmerzverzerrt. »Es liegt lange Jahre zurück. Ich habe ihn schon ewig nicht mehr gesehen.«
»Trifft es zu, dass Sie über zehn Jahre lang Priester waren?«
»Ja, das trifft zu, Euer Ehren.«
»Und trifft es zu, dass Sie in dieser Zeit regelmäßig Ministranten sexuell missbraucht haben?«
Anders als zu Beginn der Verhandlung traf der Vorwurf bei Radecke dieses Mal mitten ins Schwarze. »Ich … ich … hey, ihr Dreckskerle!«, brauste Radecke wutentbrannt auf und vergaß völlig den Uniformierten neben sich. »Was erlaubt ihr euch eigentlich. Wollt hier Gericht spie…!« Weiter kam er nicht. Für den Bruchteil einer Sekunde hörte er noch das brutzelnde Geräusch des Elektroschockers und dann breiteten sich tobende Blitze in seinem Körper aus.
Die Verhandlung dauerte nicht mehr lange. Nachdem sein Körper noch zweimal von Stromstößen geschüttelt worden war, gab Radecke seine Verbrechen in allen Einzelheiten zu. Er nannte zudem noch den bis dahin nicht bekannten Namen des dritten Priesters.
Am Ende des Martyriums verurteilte ihn der Mann im schwarzen Talar zur Höchststrafe. Radecke wusste nicht, was das für ihn bedeutete. Allenfalls ahnte er es.
25
Das Telefon klingelte. Nawrod nahm den Hörer ab. Wegner war dran. Er teilte mit, dass der Profiler soeben eingetroffen sei, und bat Nawrod, mit Yalcin und Hauk in den Besprechungsraum zu kommen.
Als sie das Konferenzzimmer betraten, wurden sie von Uhl per Handschlag begrüßt. Der Profiler sah übernächtigt aus. Nawrod konnte es sich nicht verkneifen, ihm mit einem Grinsen »Na also, geht doch!« ins Ohr zu flüstern. Dann klopfte er ihm anerkennend auf die Schulter. Offensichtlich verstand Uhl diesen Spaß überhaupt nicht. Er warf Nawrod einen verächtlichen Blick zu und wandte sich sofort an den Soko-Leiter. Beide begaben sich zur Stirnseite der langen Tischreihe. Während Uhl sein Laptop in Stellung brachte und den Beamer anschloss, trudelten nach und nach die Mitglieder der Soko ein, die Frau Lelle auf Geheiß Wegners im Präsidium zusammentrommeln konnte. Die, die noch fehlten, waren unterwegs bei Ermittlungen.
Sabine Bauer und Walter Beck kamen ebenfalls. Selbstverständlich war es für die Kriminaltechniker genauso von Interesse zu erfahren, welche Schlüsse Uhl nach Studium der Akte gezogen hatte.
»Hallo, Jürgen, ist der Platz neben dir noch frei?«
Nawrod hatte gedankenversunken auf die leere Leinwand geschaut und war durch Bauers Stimme völlig überrascht. »Was … wie … oh?«
Die Kriminaltechnikerin lächelte charmant. »Ich habe dich gefragt, ob neben dir noch frei ist.«
»Natürlich, klar.« Nawrod spürte, wie sein Hals trocken wurde. Mit einem Mal fühlte er sich ungepflegt. Er trug das gleiche Hemd wie gestern und es roch nach Schweiß von gestern. Ganz bestimmt roch es. Unauffällig ging seine Nase in Richtung linker Achselhöhle.
»Schön, dich zu sehen.« Bauer setzte sich und kam dabei mit ihrem Gesicht Nawrod auffallend nahe. »Wenn du eine Frau wärst, würde ich auf Dune tippen«, grinste sie.
»Wieso Dune, was ist das«, fragte Nawrod verlegen.
»Wie heißt dein Duschgel, oder ist es das Rasierwasser? Der Duft gefällt mir jedenfalls. Ein bisschen feminin, aber sehr verführerisch.« Sie schaute Nawrod direkt in die Augen.
»Vergiss es, Sabine. Mir hat er es auch noch nicht verraten.« Yalcin hatte zugehört. Mit einem sanften Ellenbogenstoß in Nawrods Seite fuhr sie fort: »Ich schätze, es ist sein Parfüm. Aber du hast recht, der Duft ist umwerfend!«
Nawrod schaute Yalcin mit einer Mischung aus Vorwurf und Dankbarkeit an. Dann erfasste er die Situation. Er räusperte sich und sagte in gespieltem Ernst: »Auch Männer haben Geheimnisse, die sie nicht gerne preisgeben.« Bauer und Yalcin grinsten breit und blinzelten sich zu. Wie zufällig berührte die Kriminaltechnikerin Nawrods Unterarm. Einen Tick länger, als es der Zufall erlaubt hätte.
Uhl begann seine Rede mit der üblichen Begrüßungsfloskel und einer kurzen Vorstellung seiner Person sowie seiner Arbeit beim LKA Baden-Württemberg. Wegner hatte zuvor mit sich gerungen, ihn über den neuesten Stand der Ermittlungen zu informieren. Schließlich hatte er sich dagegen entschieden. Er hatte abwarten wollen, was Uhl zu berichten hatte. Wenn dessen Analyse mit den bis jetzt vorliegenden
Weitere Kostenlose Bücher