Die Sünde
Kann aber nichts versprechen.«
»Okay, dann nichts wie los. Wenn Sie die Kriminaltechnik brauchen, rufen Sie einfach an. Die Spurensucher hier sind tolle Mitarbeiter und sehr kompetent.«
»Werd’s mir merken«, sagte Nawrod. »Frau Yalcin, können Sie uns gleich mal einen Dienstwagen und einen Fotoapparat besorgen? Ich mache in solchen Fällen immer gerne Bilder.«
Drei Minuten später stiegen Nesrin Yalcin und Jürgen Nawrod in eine BMW -Limousine. Nawrod zog es vor, die junge Beamtin fahren zu lassen, da sie vorgab, sich in Heidelberg bestens auszukennen. Sie brachte den Fahrersitz in die absolut vorderste Stellung und fuhr ihn zusätzlich bis zum Anschlag hoch. Anschließend startete sie den Motor und fuhr langsam aus dem Innenhof. Mit den Worten »Hey ho, let’s go!« trat sie draußen das Gaspedal bis zum Anschlag durch. Die Reifen quietschten. Nawrod wurde in seinen Sitz gepresst und vergaß fast zu atmen.
»Okay, was muss ich sonst noch von dir wissen, außer dass du dich in dieser Stadt gut auskennst und offensichtlich eine zweite Karriere als Rennfahrerin anstrebst?«, fragte er in etwas ironischem Ton, während er sich mit beiden Händen am Haltegriff über dem Türholm festklammerte.
»Dass ich Türkin bin, hast du bestimmt gleich an meinem Namen gemerkt, oder?«
»Hey, Kleine, du hast mich eben geduzt. Kann mich nicht erinnern, dass ich mit dir schon mal Schweine gehütet habe.«
»Mann, du hast mich doch zuerst geduzt, oder bist du schon so verkalkt, dass du das nicht mehr merkst?«
Nawrod war über so viel Unverfrorenheit dermaßen perplex, dass er sekundenlang keine Worte fand.
»Mensch, pass auf, wo du hinfährst«, schrie er laut, als Yalcin plötzlich das Lenkrad herumriss und der Wagen dabei nach links schleuderte.
»Hätte ich die Tussi mit dem Fahrrad über den Haufen fahren sollen, oder was?«, antwortete Yalcin cool und lenkte den Wagen wieder nach rechts. »Die war entweder besoffen oder high. Hast du das nicht gesehen?«
»Lieber eine Kifferin umnieten als frontal den Gegenverkehr rammen. Da hätte sonst was passieren können.«
»Mann, wach auf. Da kommt kein Gegenverkehr.«
»Woher willst du das wissen, bist du Hellseherin?«
»Weil dieser Highway schon seit Jahr und Tag eine Einbahnstraße ist. Hast du das noch nicht gerafft?« Yalcin lachte laut.
Nawrod murmelte etwas Unverständliches vor sich hin, während er mit der rechten Hand den Haltegriff noch fester umschloss.
»Mann, die Karre zieht ja nicht mal ’ne Wurst vom Teller!«, fluchte Yalcin. »Da hätten wir auch zu Fuß gehen können.«
»Mach mal halblang, Mädchen! Die Leiche rennt uns nicht mehr davon, und ich möchte morgen nicht auf dem Seziertisch neben ihr liegen.« Nawrod bemühte sich, diesen Satz so ruhig wie möglich auszusprechen.
»Hast doch nicht etwa Pipi in den Augen? So fahre ich immer«, grinste Yalcin, um ein paar Sekunden später eine Vollbremsung hinzulegen. Sie riss die Fahrertür auf und stürmte in einen Obstladen, der sich rechts von ihnen in der Häuserzeile befand. Es dauerte keine zehn Sekunden, bis ein älterer Mann mit kohlschwarzem Vollbart und gehäkelter Mütze auf dem Kopf aus dem Laden kam und direkt auf Nawrod zusteuerte. Er trug etwas in der Hand. Nawrod beschlich ein ungutes Gefühl, als er die Scheibe herunterließ.
»Entschuldigung, der Herr. Sind Sie der Kollege von meiner Nesrin? Meine Tochter will nur schnell ihrer kranken Mutter guten Tag sagen, weil sie uns schon lange nicht mehr besucht hat.« Der Mann hatte sich zu ihm heruntergebeugt und sprach Nawrod akzentlos an.
Nawrods Magen krümmte sich zusammen. »Sagen Sie Ihrer Tochter, wenn sie nicht sofort herauskommt, sorge ich dafür, dass sie heute noch entlassen wird. Ist das klar?«
Zwei große dunkle Augen starrten ihn verwundert an. Dann schob sich eine sehnige Hand durch das geöffnete Seitenfenster und legte Nawrod wortlos eine Tüte auf den Schoß. Der Mann drehte sich um und verschwand wieder im Laden. Mit spitzen Fingern öffnete Nawrod die Tüte: zwei Äpfel, zwei Birnen und ein Pfirsich. Drei Minuten später kam Yalcin zurück.
»Sag mal, bist du nicht ganz bei Trost?« Nawrod war empört. »Du besuchst mal eben schnell deine Eltern, während wir den Auftrag haben, zu einer Leiche zu fahren? Ich glaub’s ja nicht!«
»Du hast doch selbst gesagt, die Leiche rennt uns nicht mehr davon. Und dieser Besuch war einfach zu wichtig, als dass ich ihn hätte hinausschieben können.«
»Was war denn so
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