Die Sünden der Gerechten - Rankin, I: Sünden der Gerechten - The Impossible Dead
andere Seite der Flussmündung geleitet wurden. Fox stieg aus dem Wagen und spürte den Sog des mit hoher Geschwindigkeit vorbeirasenden Verkehrsstroms, der ihn auf die Fahrbahn zu ziehen drohte. Aber es gab einen Bürgersteig, der zu einem Fußweg über die Brücke führte.
» Du machst Witze « , rief ihm Kaye zu.
» Ich brauche frische Luft, das ist alles. «
» Und was zum Teufel sollen wir machen? «
» Wartet auf der anderen Seite auf mich, möglichst nah bei den alten Mauthäuschen. «
» Soll ich mitkommen? « , fragte Naysmith, aber Fox schüttelte den Kopf, knallte die Tür zu und stellte den Kragen auf. Er war bereits dreißig oder vierzig Meter gegangen, bis sich eine Verkehrslücke auftat und dem Mondeo endlich gestattete, sich wieder einzufädeln und mit einem kurzen knappen Hupen an Fox vorbeizurauschen. Fox winkte dem Wagen hinterher und ging weiter. Er hatte die Forth Road Bridge noch nie zu Fuß überquert. Dabei machten Jogger und Touristen das ständig. Der Lärm von der Fahrbahn her war ohrenbetäubend und der Abgrund zum Firth of Forth schwindelerregend, aber Fox ging weiter, sog die Lunge voll Abgasluft. Eine Frau mit Hund kam ihm entgegen. Sie trug ein Kopftuch, nickte ihm zu und lächelte, was er nicht überzeugend zu erwidern wusste. Links konnte er die Eisenbahnbrücke sehen, größtenteils wegen Bauarbeiten mit Planen abgedeckt. Dort unten gab es auch Inseln und drüben auf der rechten Seite den Hafen von Rosyth. Der Wind pfiff ihm um die Ohren, aber er hatte das Gefühl, es nicht anders verdient zu haben. Kaye hatte natürlich Recht: Es war eher ein Hilfeschrei als ein ernstzunehmender Selbstmordversuch gewesen. Aber trotzdem. Mit den Neuigkeiten über Paul Carter hatten sie eine Bombe platzen lassen und sich anschließend einfach verzogen. Kein Anruf beim Sozialamt oder sonst jemandem, der bereit gewesen wäre, nach ihr zu sehen. Eine Nachbarin? Eine Verwandte in der Gegend? Nein, sie hatten nur ihre eigene Haut und den verdammten Mondeo retten wollen. Fox war während seiner Jahre im Polizeidienst selten mit Gewalt oder Tragödien konfrontiert gewesen. Als er noch Uniform getragen hatte, hatte er die eine oder andere Prügelei zwischen Betrunkenen beendet; ein oder zwei schlimme Mordfälle hatte es während der Zeit beim CID gegeben. Die Abteilung für interne Ermittlungen war ihm auch deshalb so attraktiv erschienen, weil es dort um Regelbrüche ging und nicht um Knochenbrüche; um Polizisten, die die Seite gewechselt hatten, und nicht um gewalttätige Männer. War er deshalb ein Feigling? Er glaubte nicht. Kein richtiger Polizist? Auch das nicht. Aber er ging von Natur aus Konfrontationen aus dem Weg oder sorgte lieber von Anfang an dafür, dass es erst gar nicht zu solchen kam – und genau deshalb hatte er bei Teresa Collins versagt. Jeden Augenblick, den er mit ihr gesprochen hatte, hätte er anders angehen können, und es wäre mehr dabei rausgekommen. Fox rieb sich im Gehen mit den Händen übers Gesicht. Er beschleunigte seinen Schritt, der Wind wurde schneidender, je mehr er sich der Mitte der Brücke näherte. Er befand sich jetzt direkt über dem Firth of Forth, hing an Stahldrähten hier oben in der Luft. Er verließ sich darauf, dass sie hielten. Ohne zu wissen, was er tat, fing er an zu rennen – zunächst joggte er nur, dann wurde er schneller. Wann war er zum letzten Mal gerannt? Er konnte sich nicht erinnern. Mehr als zwanzig, dreißig Meter schaffte er nicht im Sprint, und zum Schluss war er außer Puste. Zwei echte Jogger beäugten ihn im Vorbeilaufen.
» Geht schon. « Er winkte ab.
Vielleicht glaubte er es sogar selbst. Er zog sein Handy aus der Tasche und schoss ein Foto von der Aussicht, nur um sie nicht zu vergessen. Unter ihm lag South Queensferry mit
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