Die Sünden meiner Väter: Roman (German Edition)
was in der Kiste ist!« Dazu stampfte er mit dem Fuß auf den Boden, bis ich nach Alice rief und sie mich von seiner Gegenwart erlöste. Oft lungerte er vor meiner Tür herum, wartete darauf, dass ich herauskam, und stürzte sich auf mich, kaum dass ich die Tür aufmachte. »Was ist in der Kiste, Oliver?«
Ich gab Alice zu verstehen, dass ich nicht schreiben konnte, solange Eugene unter unserem Dach lebte. Schließlich fand ich ein Heim, das bereit war, ihn aufzunehmen. Billig kam mich das Ganze nicht, ein Umstand, den meine Ehefrau nie richtig zu würdigen wusste. Sie warf mir vor, ihn zu »hassen«. So ein Unsinn. Ich hasse niemanden.
Alice hat mir das noch eine Weile nachgetragen. Jedes Jahr zu Weihnachten hat sie ihn nach Hause geholt, und jedes Mal ging das Theater von vorn los. Mir schien es für alle Beteiligten das Beste, dem ein Ende zu machen. Bei seinem somit letzten Besuch fing ich Eugene in der Küche ab und erzählte ihm eine ganz besondere Geschichte. Ich wählte schlichte, einfache Worte, damit er sie auch verstand und ein für allemal klar war, dass es sehr, sehr unklug wäre, uns jemals wieder zu besuchen. Danach tigerte er in seiner Winterjacke den Hausflur auf und ab und brabbelte vor sich hin. Alice war außer sich vor Sorge und fragte ihn andauernd, was denn los sei, aber er schien meine kleine Geschichte kapiert zu haben und hielt sein blödes Sabbermaul. Dann fing er an zu heulen, und Alice brachte ihn zurück ins Heim. Als ich mir später die Bemerkung gestattete, dass es doch eine sehr weise Entscheidung von mir gewesen sei, den sichtlich gestörten Jungen nicht bei uns aufzunehmen, verließ Alice das Haus und kam erst nach drei Tagen wieder zurück. Ihr erster Akt des Aufbegehrens. Ich habe allerdings nie daran gezweifelt, dass sie zurückkommen würde. Sie liebte mich zu sehr, als dass sie mich verlassen würde. Der Spinner kam mir danach nie wieder unter die Augen, aber Alice besuchte ihn weiterhin mit geradezu stupider Regelmäßigkeit.
Nachdem Eugene aus dem Weg war, spielte sich bei mir eine gewisse Routine ein, die allerdings ein paar Jahre darauf – 1993 , um genau zu sein – erneut gestört wurde. Diesmal von Moya, die nebenan eingezogen war. Sie und ihr dröger Gatte freundeten sich sofort mit uns an. Ich bilde mir ein, dass Moya von meinem Ruhm beeindruckt war. Angeblich war auch sie so eine Art Berühmtheit, da sie mal in irgendeiner Fernsehserie mitgespielt haben soll, aber ich hatte ehrlich gesagt keine Ahnung, wer sie war.
Praktisch vom ersten Tag an hat sie ganz offen mit mir geflirtet. Eines Winternachmittags, als ich so an meinem Schreibtisch saß und mit größter Sorgfalt an jedem Satz feilte, immer auf der Suche nach dem perfekten Wort, schaute ich kurz von meiner Arbeit auf. Im Garten erblickte ich Moya, die in Stöckelschuhen und einem hauchdünnen rosa Gewand die Wäsche aufhängte. Sie muss sich fast den Tod geholt haben. Sowie sie merkte, dass ich schaute, tat sie furchtbar erschrocken und huschte verschämt ins Haus. Moya war schon immer eine lausige Schauspielerin, und es war nur zu offensichtlich, dass sie versuchte mich zu verführen. Was mich ehrlich gesagt nicht überraschte. Ihr Mann war so langweilig und unscheinbar, dass mir nicht eine einzige interessante Sache einfällt, die er jemals gesagt oder getan hätte. Manchmal sah ich ihn im Garten. Bei der Gartenarbeit.
Während der Sommermonate stellte Moya sich regelrecht zur Schau, sonnte sich nackt auf einer Sonnenliege, die so ausgerichtet war, dass ich von meinem Fenster den perfekten Blick hatte. Keine schlechte Aussicht, zugegeben.
Als wir schließlich eine Affäre begannen, sandte sie ihre romantischen Signale in Form handgeschriebener Schilder, die sie an einem der seitlichen Fenster hochhielt. Damals fand ich das rührend. Wir schafften es sogar, unsere Liaison während beruflicher Verpflichtungen im Ausland fortzusetzen. In besonderer Erinnerung ist mir New York, wo Moya in der Broadway-Fassung von Solarand mitspielte und es fast zu einem Showdown gekommen wäre, als man sie feuerte und sie mich in den Armen eines Starlets vorfand. Moya führte sich auf, als wäre sie die betrogene Ehefrau, was ich ziemlich anmaßend fand. Es gelang mir jedoch, die Sache herunterzuspielen, und nach einer Weile nahmen wir unsere Beziehung wieder auf.
Zum Ende hin hatte unsere Affäre etwas an Schwung verloren, und ich nutzte eine neuerliche Renovierung meines Arbeitszimmers dazu, das Mobiliar so umzustellen,
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