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Die Sünden meiner Väter: Roman (German Edition)

Die Sünden meiner Väter: Roman (German Edition)

Titel: Die Sünden meiner Väter: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Liz Nugent
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bin, gehen wir Alice besuchen. Da hab ich gesagt, ich bin schon groß, und Barney hat gesagt, ich muss noch größer werden. Das mach ich.

XII
    OLIVER
    Mein Arbeitszimmer war im hinteren Teil des Hauses, links gelegen, ein Eckzimmer mit hohen Decken. Mag sein, dass Alices Vater es zu Lebzeiten als Büro oder Privatissimum genutzt hat, aber als wir einzogen, war es zu einer Art Spielzimmer für Eugene verkommen. Überall lagen Stofftiere und Bilderbücher herum, dazwischen ein alter Plattenspieler. Alles sehr chaotisch und abgegrabbelt. In der Mitte des Zimmers befand sich ein uralter, muffig riechender Teppich, auf dem ein Stuhl stand, der früher wahrscheinlich in die Küche gehört hatte, ein niedriger Sprossenstuhl mit Armlehnen. Er schien immer mal wieder überstrichen worden zu sein, und unter dem ganzen Dreck, der sich im Laufe der Jahre festgesetzt hatte, konnte man blaue, rote und gelbe Farbschichten abblättern sehen. Angeblich war das Eugenes »Fliegender Stuhl«. Wahrscheinlich hätte ich mich geehrt fühlen sollen, mit meinem ersten Buch für solche Inspiration gesorgt zu haben, doch das war keineswegs, was ich im Sinn gehabt hatte.
    Dennoch, der Raum war groß und lichtdurchflutet. Eines der beiden hohen Fenster ging auf den Garten hinaus, das andere auf den schmalen Weg, der seitlich am Haus vorbeiführte. Die Innenwände waren mit einer geblümten Tapete tapeziert, darauf Disneyposter, Duran Duran-Starschnitte und Michael Jackson-Plattencover.
    Es war das einzige Zimmer im Haus, das über ein stabiles Türschloss verfügte, und somit das einzige Zimmer, in dem ich arbeiten konnte. Alice sträubte sich zunächst, doch letztlich konnte ich sie davon überzeugen, dass wir Eugene genauso gut oben in ihrem alten Zimmer unterbringen könnten (wir hatten das Schlafzimmer ihrer Eltern bezogen). An einem Nachmittag, als die beiden unterwegs waren, räumte ich das ganze Gerümpel raus, machte hinten im Garten ein Feuer und warf alles hinein. Das nachfolgende Theater war meines Erachtens völlig überzogen. Am meisten regte Eugene sich wegen dieses blöden Stuhls auf. Als ob im Haus nicht genügend Stühle herumgestanden hätten, ein jeder davon besser als besagtes Exemplar. Tagelang hat er rumgeheult, wie ein Baby, und mir wurde ziemlich schnell klar, dass ich unter solchen Bedingungen unmöglich leben konnte.
    Ich renovierte den Raum ganz nach meinem Geschmack. Das Studierzimmer eines Gentlemans sollte es werden, mit Teakholz-Täfelung, die Innenwände von Bücherregalen gesäumt, die Fenster von schweren Samtvorhängen. Den lange nicht genutzten Kamin nahm ich wieder in Gebrauch, meinen schweren Mahagonischreibtisch stellte ich über Eck zwischen die beiden Fenster, den Blick nach draußen. Bei einer Auktion erstand ich einen Bibliothekssessel mit gediegenem Lederbezug, eine Stehlampe, die ich schräg hinter dem Sessel aufstellte, sowie eine Schreibtischlampe mit grünem Glasschirm, einen echten Klassiker. Die richtige Beleuchtung ist nicht zu unterschätzen. Bei einer Firma in England bestellte ich eine Schreibtischunterlage aus Leder und bei einem Antiquar einige Erstausgaben und Enzyklopädien, um meine Regale zu füllen. Binnen weniger Wochen hatte ich den Raum in das Arbeitszimmer eines Schriftstellers verwandelt. Die wenigen Male, als ich Journalisten bei mir zu Hause empfing, hoben sie dann auch prompt hervor, wie authentisch das Arbeitszimmer für einen preisgekrönten Schriftsteller sei. Als ob das richtige Ambiente die Worte ganz von allein kommen ließe.
    Alice wusste, dass ich nicht gestört werden wollte. Es verschafft mir Genugtuung, dass sie meinte, mein Genie bedürfe absoluter Ruhe und Abgeschiedenheit. Das machte ich mir auch zunutze, als Eugene, der kleine Schwachkopf, wissen wollte, was in der grünen Holzschatulle sei. Alice hat nie besondere Neugierde gezeigt, aber Eugene gab nicht auf. Geradezu besessen war er davon. Die wenigen Male, die ich Eugene und Alice Zutritt zu meinem Refugium gewährte, watschelte er immer gleich rüber ans Regal und starrte zu der grünen Schatulle hinauf, die ich aus gutem Grund außerhalb seiner Reichweite verwahrte.
    »Was ist in der Kiste, Oliver? Was ist in der Kiste? Ist da ein Ungeheuer in der Kiste? Oliver, was ist in der Kiste?«
    »Nichts«, beharrte ich, »nur langweilige Dokumente. Geburtsurkunden, Pässe, Versicherungsunterlagen. Nichts, was dich zu interessieren bräuchte.«
    »Zeig mal! Zeig mal! Ich will sehen, was in der Kiste ist. Zeig mal,

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