Die Suendenburg
Burg bewegen darfst. Es spricht einiges dafür, dass nicht du meinen Vater getötet hast, und in meinen Augen giltst du jetzt schon als unschuldig. Nun, was sagst du, versprichst du Malvin und mir, keinen Fluchtversuch zu unternehmen? Zier dich nicht, zu sprechen. Malvin hat mir gesagt, dass du unsere Sprache verstehst. Ich grolle dir nicht, weil du an den Überfällen deines Volkes auf unser Reich beteiligt warst. Und wegen deiner Götter grolle ich dir schon gar nicht. Christus wird noch zu euch kommen, irgendwann, da bin ich mir ziemlich sicher.
Sie stand vor mir: Schön, ihr Gesicht eine wilde Rose, ihre Haare kräuseln sich ungezähmt um ihre rötlich schimmernden Wangen, und ihre Augen sind mit Stolz gefüllt, weil sie es ist, die mich befreit, die sich durchgesetzt hat gegen die Zweifler, die Richter, die Männer, die Welt.
Ich antwortete ihr nicht. Vorsicht hatte nichts damit zu tun. Ich hatte das Sprechen verlernt. Ohnehin galt ich den Menschen dieses Landes als Wilde, weil ich in Wäldern und Steppen gelebt habe. Dort habe ich viel gesprochen und gelacht. Erst seit ich mitten unter jenen lebte, die sich gesittet nannten, schwieg ich wie ein Tier, das Tier, das sie in mir sahen und als das sie mich behandelten, und ich kriegte auch eine Woche nach meiner sogenannten Befreiung keine Silbe über die Lippen. Ich sprach ausschließlich mittels meiner Hände, in der Sprache meiner Kindheit, die sich in den Stein der Wände einkerbte. Die Frau, die glaubt, meine Befreierin zu sein, bot mir ein anderes Gemach an. Es war heller und hatte eine Feuerstelle. Ich lehnte es ab. Es lag nicht nach Osten, und ich wäre dort nicht umgeben gewesen von meinem Geschriebenen, das mein Erlebtes ist. Inzwischen ist die Hälfte der Wand beschrieben.
Mir zu sagen, ich bin frei innerhalb der Burg, ist, wie einem Vogel zu sagen, er wäre frei innerhalb des Käfigs. Ich bin nicht dort, wohin ich gehöre. Ich kann keinen Schritt tun, ohne angestarrt zu werden. Einige fürchten, andere ekeln sich vor mir, einige nennen mich eine heidnische Zauberin, andere eine Barbarin, einige weichen vor mir zurück, andere laufen mir nach, einige sprechen leise hinter vorgehaltener Hand über mich, andere sprechen absichtlich so laut, dass ich hören muss, wie sie mich nennen. Es ist ihnen von Malvin verboten worden, mich anzuspucken oder mich zu beschimpfen, also sagen sie mir auf andere Art, was sie von mir halten. Da ich meinerseits wenig von ihnen halte, kann mich ihr Benehmen weder schmerzen noch ängstigen, nur ärgern. Aber es gibt vier Frauen in der Burg, vor denen ich zittere.
Die eine Frau ist jene stumme Alte, die anders ist als die anderen Weiber. Unfähig, all ihren Hass in das gesprochene Wort zu legen, nähert sie sich mir nie. Sie scheint vorauszuahnen, wohin ich gehen werde, jedenfalls sehe ich sie immer an einem mir weit entfernten Punkt der Burg stehen – oben an einem Fenster, auf einer Mauer, am anderen Ende eines langen Ganges –, von wo sie mir einen Blick zuwirft, der Kochendes gefrieren lassen würde.
Drei rothaarige Frauen setzten bekümmerte Mienen auf, sobald sie mich sahen. Etwas Unheimliches ging von diesen Frauen aus. Der Vikar erklärte mir, dass die drei rothaarigen Frauen mit Männern verlobt waren, die in den Ungarnkriegen fielen, und diese Männer waren der stummen Dienerin Söhne. Ist es das, was sie mir unheimlich macht? Gewiss, seit ich das weiß, bin ich beklommen, wenn ich die Rothaarigen sehe, die immer beisammen sind, als wären sie untrennbar vereint.
Ich überlege mir, dass mein Mann Lehel die drei Verlobten getötet haben könnte, da er doch so erfahren mit dem Schwert ist, oder meine Brüder, die mit ihren gepanzerten Rössern schon so manchen Gegner überrannt haben. Auch wenn ich weiß, dass es wohl kaum so war, macht der Gedanke, dass es so gewesen sein könnte, mich traurig. Doch das erklärte nicht, wieso diese Frauen mir unheimlich waren. Es waren ihre Lieder. Nicht schwer mehr zu entscheiden, wer ist’s, der den fällte, der des Todes Fäller war.
Von den Wehren aus blicke ich tagtäglich über das Land nach Osten, wo unsere Götter wohnen. Im Licht des Winters haben die Ufer des Sichtbaren sich aufgelöst, es gibt keine Horizonte mehr, keine Grenzen, und manchmal darf ich mir einbilden, ich bin nicht weit von zu Hause entfernt. Ein kalter Reif legt sich über die Zinnen, der warme Atem stößt grau in die Luft, und ich denke daran, was meine Kinder wohl gerade in diesem Augenblick tun.
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