Die Sünder - Tales of Sin and Madness (German Edition)
Ich wusste, dass der Rasenmäher kein Spielzeug war. Ich kannte den Unterschied zwischen den stumpfen Plastikklingen meines hingebungsvoll geliebten Spielzeugs – das längst weg war, weil wir es vor vielen Jahren der Wohlfahrt gespendet hatten – und den sehr echten, sehr scharfen Klingen von Dads Victa.
Am Tag meines 13. Geburtstags, als Dad mir mit einer Geste väterlicher Zuneigung durchs Haar wuschelte und sagte: »Du wirst jetzt erwachsen, mein Sohn. Bald wirst du dich sogar für Mädchen interessieren«, wusste ich, dass es nicht mehr lange dauern würde, bis er mir erlauben würde, ihm beim Rasenmähen zu helfen – und diesmal beim richtigen Mähen.
Denn ich war tatsächlich kein Kind mehr. Ich wurde wirklich allmählich erwachsen und verdiente es, auch so behandelt zu werden. Die Zeiten, in denen ich im Garten hinter dem Haus Cowboy und Indianer gespielt hatte – ich hatte immer beide Rollen selbst übernommen – oder zwischen den Gummibäumen und Hortensienbüschen mit meinen Spielzeugdinosauriern meine eigene Version von Das vergessene Land zum Leben erweckt hatte, waren seit Langem vorbei. Und ich glaubte längst nicht mehr daran, dass der schmale Streifen aus hohen Gräsern und ungezähmter Wildnis, der zwischen dem Zaun zum Nachbarn und unserer Garage verlief, eine dunkle Waldfestung war, die Drachen mit rasiermesserscharfen Zähnen und bösen, stinkenden Trollen ein Zuhause bot.
Ich war diesen Spielen und Ängsten des Kindesalters entwachsen. Ich war bereit, mich auch an erwachsene Dinge heranzutrauen.
»Okay, Kumpel, schnapp dir eine Schutzbrille und ein Paar Handschuhe.«
Ich sah auf dem Boden neben dem Rasenmäher zwei Schutzbrillen und zwei Paar Handschuhe sowie Dads alten, benzinbetriebenen Rasenschneider liegen.
Ich beugte mich nach unten, hob eine Schutzbrille und ein Paar Handschuhe auf, streifte mir beides über und wartete auf weitere Instruktionen.
»Gut, jetzt nimm den Rasenschneider und folge mir.«
Ich zögerte. Mit einem Stirnrunzeln fragte ich: »Und was ist mit dem Rasenmäher?«
»Später. Erst möchte ich, dass du ein bisschen Unkraut schneidest. So kannst du den Umgang mit einem Werkzeug mit scharfer Klinge üben. Hinterher kannst du mir dann mit dem Rasenmäher helfen.«
Meine Schultern sanken merklich, als meine Begeisterung schrumpfte.
Der Rasenschneider sah zwar einigermaßen cool aus, war aber nur ein armseliger Ersatz für den Rasenmäher. Er war nur ein schnurrendes Kätzchen, der Rasenmäher hingegen ein brüllender Tiger.
Ich wuchs zu einem jungen Mann heran und junge Männer mähten Rasen, sie schnitten kein Unkraut.
Trotzdem hob ich den Rasenschneider auf, der ziemlich schwer und umständlich zu tragen war, und schlurfte hinter meinem Dad zum rückwärtigen Ende des Gartens.
Ich wusste nicht, wohin er mich führte, bis er abbog und hinter der Garage stehen blieb.
»Ich will, dass du dir erstmal das Unkraut hier vornimmst.«
Ich starrte auf den schmalen Streifen der Wildnis zwischen dem Zaun und der Garage. Die Gräser waren so hoch, dass sie die Holzlatten und die Metallwand beinahe völlig verdeckten. Die hohe Begrenzung aus Ziegelsteinen am anderen Ende war bereits nicht mehr zu sehen.
»Gut, dieser Rasenschneider ist kein Spielzeug, deshalb gibt es auch ein paar Regeln und Sicherheitsvorkehrungen. Du musst die ganze Zeit über die Schutzbrille und die Handschuhe tragen und darfst nie, wirklich niemals, deine Hände unten in den Rasenschneider stecken, während er läuft. Das gilt natürlich auch für den Rasenmäher. Die Klingen an beiden Maschinen reißen dir so lange die Hand auf, bis nur noch ein blutiger Stummel übrig ist. Verstanden?«
Ich nickte und gab vor, zuzuhören, aber in Wahrheit kreisten meine Gedanken um Trolle und Drachen.
»Wenn sich etwas in den Klingen verfängt, dann schaltest du das Gerät immer zuerst aus und wartest, bis die Messer nicht mehr rotieren, bevor du mit den Handschuhen rausholst, was sich zwischen den Klingen verklemmt hat.«
»Hmm-hmm«, murmelte ich.
»Okay, so viel zur Sicherheit. Jetzt zeige ich dir, wie man dieses Baby benutzt.«
Dad verbrachte die folgenden zehn Minuten damit, mir beizubringen, wie man den Motor startete und wie die Einspritzpumpe und die Drossel funktionierten – kurz und gut: wie man das Gerät richtig benutzte, wenn man das Unkraut möglichst perfekt schneiden wollte. Er wiederholte sogar seine Warnung, meine Hände nicht zwischen die Klingen zu stecken, solange sie sich noch
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