Die Sünder - Tales of Sin and Madness (German Edition)
hatte, nur dass seiner jetzt weg ist. Die Männer in Weiß haben ihm den abgenommen, als er hierherkam. Er weiß, dass es der kleine Mann in Weiß mit der sabbernden Frau macht, die den ganzen Tag nur im Bett liegt. Er macht es, wenn es dunkel ist und sonst keine anderen Männer in Weiß da sind. Er weiß auch, dass der böse Mann sein Summen hasst. Das hat er immer getan. Aber diese Dinge hält er geheim. Er ist ein Kolibri. Kolibris sprechen nie, sie summen nur.
Der Mann ist gut darin, Geheimnisse zu bewahren. Das sagen alle. Darum ist er hier. Der dicke Polizist, der ihn angeschrien und geschlagen hat, fand das auch. Der Polizist meinte, er würde einen guten Spion abgeben – er verrät gar nichts, hat er gesagt. Er wollte alles über Julie wissen und Sam und die kleine Debbie. Aber das ging nur den Mann etwas an. Nicht den Polizisten.
Er hat sein Geheimnis auch dem alten Doktor nicht anvertraut. Der alte Doktor mit all seinen Falten und seinen weißen Klamotten. Der Doktor hat ihn nicht geschlagen, aber der Mann hat dem alten Doktor trotzdem nichts über Julie und Sam und die kleine Debbie erzählt. Der Mann weiß alles über Julie und Sam und die kleine Debbie. Natürlich weiß er alles über sie, aber es ist sein Geheimnis, und das bleibt es auch.
Der Mann hört die Stimme des bösen Mannes.
Der Mann ist deswegen ganz aufgeregt – aber er zeigt seine Aufregung nicht. Er sitzt nur weiter in seiner Ecke und summt, aber er dreht seinen Kopf ein wenig nach rechts und schaut das Loch in der Wand an.
Durch dieses Loch hört er den bösen Mann. Die Stimme des bösen Mannes klingt schwach und blechern, so als käme sie aus dem Radio. Der Mann starrt auf das Zickzackmuster der Metallplatte, die das Loch abdeckt, und summt. Leise, sanft, lyrisch. Summt und summt. Er summt das Loch an, stellt sich vor, es wäre Julie, und das Zickzackmuster sei ihr lächelndes Gesicht. Stellt sich vor, ihr gefalle sein Summen und dass sie ihn anlächelt und bittet weiterzumachen. Ja, das stellt der Mann sich gerne vor, wenn er das Loch ansummt – dass seine Frau dort sitzt, dass sie seine Stimme liebt und ihm nicht sagt, er solle aufhören, solle endlich mit dem höllischen Summen aufhören, sonst würde sie ihn verlassen. Diese bösen Gedanken machen ihn wütend, dann verliert er seine innere Ruhe. Deshalb versucht er, diese bösen Gedanken nicht zuzulassen, und stellt sich stattdessen Julie vor, die ihn anlächelt und sein Summen liebt.
»Hör auf! Hör mit dem verfluchten Summen auf!«
Es ist der böse Mann.
»Hör auf! Geh raus aus meinem Kopf!«
Fünf Jahre. Seit fünf Jahren summt der Mann nun schon das Loch an. Seit fünf Jahren sagt der böse Mann, er solle damit aufhören.
Der Mann lächelt. Summt weiter.
Es ist sein größtes und bestes Geheimnis. Niemand kennt es. Nicht mal der böse Mann. Niemand außer ihm. Und vielleicht der schwarze Mann. Der Mann ist sich nicht ganz sicher, aber er glaubt, der schwarze Mann könnte vielleicht davon wissen. Aber das ist egal, weil der schwarze Mann sein Summen mag.
»Ich werd dich verdammt noch mal umbringen! Hör auf! Hör auf!«
Die entfernte Stimme klingt noch wütender als gestern. Und gestern klang sie schon furchtbar wütend. So wütend, dass der böse Mann geknebelt und festgebunden werden musste. Der Mann hatte alles durch das Loch in der Wand gehört. Es hat ihn zum Lächeln gebracht, beinahe zum Lachen. Aber er kann nicht lachen, weil er dafür sein Summen unterbrechen müsste.
Der Mann weiß nicht, warum, aber es scheint, als könne nur der böse Mann auf der bösen Station sein Summen durch das Loch in der Wand hören.
»Ich werd dich einfach ignorieren. Hmmm … hmmm … Siehst du, ich kann auch summen. Hmmm … Halt verdammt noch mal die Klappe!«
Jeden Tag, fünf Jahre lang. Jeden Tag brüllt der böse Mann ihn an und will, dass er aufhört. Natürlich tut der Mann das nie. Immerhin ist der andere ein böser Mensch und böse Menschen bekommen, was sie verdienen. Der schwarze Mann mit dem komischen, haarigen Ding ist kein böser Mann. Der schwarze Mann mag sein Summen. Der schwarze Mann hasst es, auf der bösen Station zu putzen. Und die böse Station ist voll von bösen Männern. Trotzdem ist der Mann überzeugt, dass derjenige, der ihn anschreit, der Schlimmste von allen ist.
Das Seltsame ist, dass der böse Mann gar nicht weiß, wer da eigentlich summt. Er weiß nicht, woher es kommt. An manchen Tagen denkt er, das Summen sei nur in seinem Kopf.
Der
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