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Die Sünderin von Siena

Die Sünderin von Siena

Titel: Die Sünderin von Siena Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Brigitte Riebe
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nur deshalb das Haus verlassen, um mich zu finden. Wäre ich dort geblieben, er würde noch leben, denn ich hätte ihn niemals im Dunkeln alleine rausgelassen. Das werde ich mir nie verzeihen, verstehst du? Niemals!« Inzwischen schrie sie beinahe. »Und soll ich dir auch sagen, weshalb ich nicht da war?« Gemma ließ Caterina keine Zeit zu antworten. »Weil ich bei einem Mann war. Mit ihm habe ich die Nacht verbracht – in seinem Haus. In seinen Armen.«
    Eine Weile blieb es still. Das Aroma von Mandeln und Honig begann die Küche zu erfüllen, so tröstlich und süß, dass Gemma trotz ihrer Trauer spürte, wie Appetit sich in ihr regte. Lapa hatte ein großes Blech mit panforte in den Backofen geschoben, das langsam gar wurde.
    »Erwartest du von mir Absolution?«, fragte Caterina schließlich. »Die kann dir einzig und allein ein Priester gewähren. Allerdings erst, nachdem du zuvor gebeichtet hast und bereit bist, deine Buße auf dich zu nehmen.«
    Besaß diese Asketin gar kein Herz? Jetzt von Beichte und Buße zu reden, wo bittere Schuldgefühle Gemma doch ohnehin halb um den Verstand brachten! Sie verspürte plötzlich Lust, auf Caterina einzuschlagen, so wild machte sie die unerschütterliche Ruhe, die diese ausstrahlte. Gemma schüttelte den Kopf, um den Gedanken zu verscheuchen. Vielleicht würde die weltabgewandte junge Frau es ja besser begreifen, wenn sie ihr mehr über Mauro erzählte.
    »Im Nacken, da hat er nach Vanille gerochen. Und dieser lustige Haarwirbel, der ihn wie einen kampflustigen Wiedehopf aussehen ließ! Es konnte auch noch vorkommen, dass sein Daumen in den Mund wanderte, aber nur dann, wenn er sich ganz und gar unbeobachtet fühlte. Er hat es geliebt, sich in mein Haar zu wickeln, und hat dabei ›Mamma‹ geflüstert, während ich so tat, als ob ich es nicht gehört hätte …« Jetzt waren es ihre Worte, die wie ihre Tränen unablässig strömten.
    »Du hast ihn sehr lieb gehabt.« Caterina sagte es mit einem Unterton, der Gemma aufhorchen ließ. Das Mitgefühl klang echt. Vielleicht dachte sie gerade an ihre Brüder und Schwestern, die im Kindesalter gestorben waren. »Und jetzt vermisst du ihn, und das tut dir sehr weh. Doch die Toten verlassen uns nicht, das weißt du doch, Gemma! Solange wir sie lieben, bleiben sie bei uns.«
    »Ich hab sie alle lieb«, sagte sie. »Mauro ebenso wie die fünf anderen, die uns noch geblieben sind.«
    »Wo ist er jetzt, dein kleiner Mauro?«
    »Nicht einmal das kann ich dir sagen. Sie haben ihn abgeholt, noch bevor wir uns richtig von ihm verabschieden konnten. Das war das Allerschlimmste. Lina hat sich verzweifelt über die Bahre geworfen, aber sie lassen keinerlei Ausnahme zu. Sie sagten, als getatelli gehöre er im Tod zurück nach Santa Maria della Scala.«
    Caterina erhob sich steifbeinig. Im Stehen schien sie in ihrer Zerbrechlichkeit unter dem groben weißen Gewand regelrecht zu verschwinden.
    »Wir hören auf für heute«, sagte sie. »Der Brief an meine Brüder ist ohnehin so gut wie fertig. Kannst du die Reinschrift für mich erledigen und ihn anschließend zum Palazzo Pubblico bringen?«
    Gemma nickte.
    »Es wird gehen, trotz allem?« Caterina musterte ihre Schreiberin aufmerksam.
    »Du kannst dich auf mich verlassen«, sagte Gemma. »Ich bin sogar ganz froh, wenn ich wenigstens für eine Weile an etwas anderes denken kann.«
    »Gut.« Es klang abschließend. »Es ist wichtig, dass sie den Brief bestimmt erhalten, jetzt, wo sie den Rat nicht verlassen dürfen und sich folglich kein eigenes Bild darüber machen können, was in der Stadt vor sich geht. Dieser Bernardo ist gefährlich für Siena. Wir sollten keine kostbare Zeit verlieren.«
    »Ich kann ohnehin nicht verstehen, was die Leute an ihm finden«, sagte Gemma. »In mir zieht sich alles zusammen, sobald er nur den Mund aufmacht.«
    Caterina ging wieder zu ihrer Zelle. An der Schwelle hielt sie noch einmal kurz inne und wandte sich mit ernster Miene zu Gemma um.
    »Die Wahrheit macht unsere Seele demütig«, sagte sie. »Die Lüge aber hochmütig. Man darf nicht lügen, wenn man die Wahrheit weiß. Nicht einmal zurückhalten darf man sie. Doch dazu braucht man Mut – manchmal sogar sehr großen Mut. Und glaub mir, Gemma, ich weiß, wovon ich spreche.«
    Was wollte sie ihr damit sagen?
    Eine Weile hing Gemma in Gedanken noch Caterinas rätselhaften Worten nach, dann aber setzte sie sich an den sauber gescheuerten Tisch mit seinen unzähligen Kerben und Schrammen und nahm ihre

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