Die Sünderin
Mechthild. Und sie sagte: «Dann tu das, Rudi. Tu das, um Gottes willen, und geh mit allem, was du findest, zum Staatsanwalt. Aber nicht zu ihr. Bestimmt nicht mit der Nachricht, dass ihr Vater im Sterben liegt. Was willst du ihr denn noch alles aufladen?»
Wie er sie da am Fenster stehen sah, ein Häufchen Elend, dessen Gesicht in den Farben des Regenbogens schillerte. Auf der Stirn das frische breite Heftpflaster. Er dachte an die Utensilien in seiner Jackentasche und an die Nachricht, die er für sie hatte. Und im Hinterkopf sagte Mechthild noch einmal: «Rudi, du hast nicht alle Tassen im Schrank.»
Die Tür wurde hinter ihm geschlossen. «Es tut mir Leid», begann er und rechnete, als er weitersprach, fest damit, dass sie mit den Fäusten auf ihn losging. Er überlegte bereits, wie er verhindern konnte, dass man sie in eine Zwangsjacke steckte. Aber sie sackte nur ein wenig mehr in sich zusammen, fixierte ihn aus feuchten Augen und schürzte die zitterndeUnterlippe wie ein Kind, das gerne weinen möchte und weiß, dass es verboten ist.
«Möchten Sie sich nicht lieber setzen, Frau Bender?»
Sie schüttelte den Kopf. «Ein Schlaganfall?», flüsterte sie. «Wie geht es ihm denn? Wird er es überleben?»
«Die Ärzte sind sehr zuversichtlich», log er. «Und Margret weicht nicht von seiner Seite.»
«Das ist gut», murmelte sie. Dann ging sie doch zum Bett und setzte sich. Er ließ ihr ein paar Minuten, sah, wie sie sich von dem Schock erholte, wie sie Hoffnung schöpfte. Ihre Schultern strafften sich. Sie hob den Kopf und schaute ihn an. «Dann haben Sie wohl nicht mit ihm sprechen können?»
«Nein.»
Ein Lächeln glitt über ihr Gesicht. Sie wirkte mit einem Mal sehr zufrieden. «Gut!», sagte sie. «Und ich will nicht mit Ihnen sprechen. Gehen Sie!»
Er rührte sich nicht von der Stelle. Obwohl er plötzlich fand, es sei die beste Lösung. Die Psychiatrie mochte der blanke Horror sein für einen, der sie nicht brauchte, aber als Sachverständiger genoss Professor Burthe einen hervorragenden Ruf. Er würde aufdecken, warum Georg Frankenberg hatte sterben müssen. Er würde garantiert auch herausfinden, ob, wann und unter welchen Umständen Cora Bender Frankenberg vor Jahren kennen gelernt, ob Heroin eine Rolle dabei gespielt hatte oder ob sie damit erst später in Berührung gekommen war. Was er mit ihr vorhatte, war im Grunde genommen Unsinn. Es hatte keine Beweiskraft vor Gericht. Es war auch nicht geeignet, die Verbindung zu Frankenberg herzustellen. Und sich persönlich Gewissheit verschaffen zu wollen, ob ihre Tante nur wieder ein Ablenkungsmanöver gestartet hatte …
Er atmete einmal tief durch. «Ich verstehe, dass Sie wütend auf mich sind, Frau Bender. Ich verstehe auch, dass Sie nicht mit mir reden wollen. Aber ich bin nicht gekommen, um mitIhnen zu reden. Ich wollte Sie nur bitten, etwas für mich zu tun.»
Sie schaute ihn an, fragend, erstaunt – und immer noch zufrieden. Er griff in die äußere Jackentasche. Verflucht! Jetzt hatte er den Kram beschafft. Und jetzt wollte er es wissen. Er zog eine Plastiktüte aus der Tasche, ging damit zum Tisch und breitete die Sachen aus. Eine noch verpackte Spritze, ein hitzebeständiger Löffel, ein Kerzenstummel, ein Gummiband zum Abbinden und ein kleines Tütchen mit pudrigem Inhalt.
Ihre Augen wanderten über die Utensilien. Ihr Gesicht verzog sich in eisiger Abwehr. «Was soll das? Sie mögen die Amerikaner, was? Das ist doch nicht schlecht mit Gaskammer und Giftspritze, spart dem Staat ein Vermögen, und wir sind ja ziemlich pleite. Was soll ich denn für Sie tun? Mir den goldenen Schuss setzen?»
«So viel ist nicht im Tütchen», sagte er.
Sie hob desinteressiert die Schultern an. «Also nur was zur Aufheiterung? Das ist lieb gemeint, trotzdem vielen Dank. Wissen Sie, ich kriege hier Stoff genug. Ich bin gespannt, ob ich mir das Zeug, das die mir hier servieren, später genauso leicht abgewöhnen kann wie das da.»
«Haben Sie sich das hier so leicht abgewöhnen können?» Ihm war nach einem kleinen Schmunzeln. Es schien ein winziger Hinweis, dass ihre Tante in diesem Punkt Tatsachen ausgesprochen hatte. «Da sind Sie aber die große Ausnahme», fügte er an. «Andere kriegen das heulende Elend dabei.»
«Das habe ich verschlafen», erklärte sie patzig.
Er nickte kurz. «Bei dem netten Arzt, nehme ich an. Ein Arzt hat natürlich Möglichkeiten, einem den Entzug leichter zu machen. Aber nach allem, was ich bisher gehört habe,
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