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Die Sünderin

Die Sünderin

Titel: Die Sünderin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petra Hammesfahr
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Löffel über die Kerzenflamme hielt. Er bemühte sich um eine neutrale Miene.
    «Hier ist das Wasser wenigstens sauber», sagte sie. «Frü her haben wir das aus den Klobecken geschöpft. Wer weiß, was ich mir da für einen Scheiß in die Arme gejagt habe. Da braucht man sich nicht wundern, dass es aussieht, als hätten Ratten dran gefressen.»
    Sie war unsicher, es war nicht zu übersehen. Ihre Augen huschten zwischen seiner Miene und dem Löffel hin und her. Schließlich zog sie den Löffel über die Flamme fort, lächelte ihn an und meinte lässig: «Ich glaube, es ist warm genug. Ich muss es ja jetzt nicht kochen lassen.»
    Er hatte Mühe, sich das Grinsen zu verkneifen. Als sie mit der freien Hand nach der Spritze griff, hielt er ihren Arm fest. «Danke, Frau Bender, das reicht. Sie müssen es nicht aufziehen.»
    Er wusste nicht, ob er lachen oder fluchen sollte. Er wusste auch nicht, welche Bedeutung es für den Fall Frankenberg hatte. Er wusste nur: Ihre Tante hatte Recht. Cora Bender hatte wirklich keine Ahnung, wie man mit Heroin umging. Sie hatte sich nie mit eigener Hand einen Schuss verpasst, siekonnte höchstens im Fernseher zugeschaut haben, wie ein anderer die Spritze aufzog.
    Rudolf Grovian blies die Kerze aus, nahm ihr den Löffel aus der Hand und spülte die Zuckerbrühe unter fließendem Wasser ab. Dann packte er alles zurück in die Plastiktüte und steckte sich diese wieder in die Jackentasche.
    «So», sagte er dabei. «Sie wissen noch, was wir vereinbart hatten? Sie zeigen mir, dass Sie mit dem Zeug umgehen können, dann lasse ich Sie in Ruhe. Jetzt haben Sie mir gezeigt, dass Sie nicht damit umgehen können. Ich darf Ihnen also noch ein paar Fragen stellen.»
    Sie war so verblüfft, dass sie ihn sekundenlang nur anstarrte, ehe sie den Kopf schüttelte und ihn wütend anfunkelte. «Habe ich was falsch gemacht? Ja, ich weiß, ich hätte zuerst die Spritze auspacken müssen. Aber das hätte ich noch getan. Das kann ich auch mit einer Hand und mit den Zähnen. Hören Sie, das ist eine ganz miese Tour, die Sie hier reiten. Sie haben mir den Arm festgehalten, bevor ich es Ihnen zeigen konnte. Und jetzt wollen Sie behaupten, ich hätte es nicht gekonnt.»
    «Das war es nicht, Frau Bender.»
    «Was dann?»
    «Warum wollen Sie das wissen? Sie wollen doch mit Heroin nichts mehr zu tun haben. Da müssen Sie es nicht wissen.»
    Zum Teufel mit der Angst und den Schuldgefühlen, seinen und ihren. Er fühlte sich gut in dem Moment, verdammt gut sogar. Der erste Schritt war gemacht. Nun kam der zweite. Dass sie sich mit verschlossener Miene zurück auf ihr Bett setzte und demonstrativ in Richtung Fenster schaute, nahm er nicht so wichtig. Er war sicher, dass er sie zum Reden brachte. Bisher hatte er es doch jedes Mal geschafft, ihr die Zunge gelöst und etwas in ihr geweckt, Bröckchen aus ihrer Mauer getreten. Es brauchte noch einige Tritte, vorsichtig und richtig platziert.
    «Mit Ihrem Vater habe ich zwar nicht sprechen können», begann er. «Bei Ihrer Mutter habe ich es erst gar nicht versucht. Aber Ihre Nachbarin hat mir weitergeholfen.» Er machte eine winzige Pause, ehe er den Namen folgen ließ: «Grit Adigar. Sie erinnern sich doch sicher an sie.»
    Sie antwortete nicht, starrte weiter in Richtung Fenster und zog die Unterlippe zwischen die Zähne.
    «Sie hat mir von Horsti und Johnny Guitar erzählt», fuhr er fort und mischte Grit Adigars Erklärungen mit den eigenen Spekulationen. «Johnny war ein Freund von Georg Frankenberg. Und Horsti war ein kleiner Schmächtiger mit heller Haut und strohgelben Haaren. Sie waren mit Horsti befreundet, seit Sie siebzehn waren. Ihre Nachbarin hat mir auch von Magdalena erzählt. Dass Sie Ihre Schwester sehr geliebt und für sie getan haben, was Sie konnten. Und dass Magdalenas Tod Sie völlig aus der Bahn warf.»
    Er ließ sie nicht aus den Augen. Sie tat nichts weiter, als zum Fenster zu starren und dabei auf ihrer Unterlippe zu kauen. Blass war sie geworden unter all den Regenbogenfarben und dem breiten Heftpflaster auf der Stirn. Fast hatte er wieder Mitleid, aber nur fast. Mitleid half ihr nicht.
    «So», sagte er noch einmal, als müsse er mit dem Wort einen Punkt in die Luft stechen. «Ich will, dass Sie eines begreifen, Frau Bender! Ich bin nicht Ihr Vater. Ich bin nicht Ihre Mutter. Ich bin nicht Ihre Tante und auch nicht Ihre Nachbarin. Ich kann mir denken, dass es eine Menge Fragen und Vorwürfe gegeben hat, als Sie damals heimkamen. Aber ich bin

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