Die Sünderin
nicht interessiert an Magdalena. Ich will nicht wissen, warum Sie Ihre Schwester ausgerechnet an dem Abend allein ließen. Das ist für mich völlig irrelevant. Verstehen Sie das?»
Sie reagierte nicht, er fuhr fort: «Ich will nur wissen, was in dieser Nacht im ‹Aladin› passiert ist und wie es danach weiterging. Was aus Horsti wurde, ob Sie mit Johnny zusammengeblieben sind, wann und wo Sie Georg Frankenbergkennen lernten. Ob und wann Sie mit Heroin in Berührung gekommen sind und wer es Ihnen gegeben hat. Ich will vor allem wissen, wie der Arzt hieß, der Ihre Verletzungen behandelt hat.»
Keine Reaktion. Ihre Hände lagen im Schoß wie vergessen. Die Unterlippe musste sie sich inzwischen blutig gebissen haben.
«Und lügen Sie mich nicht wieder an, Frau Bender», sagte er mit einer gewissen Strenge, als spreche er zu einem Kind – und irgendwie sah er sie auch so. «Sie sehen, ich krieg’s raus. Das eine geht schnell, das andere dauert etwas länger. Aber am Ende weiß ich das auch. Zwei von meinen Kollegen hängen seit heute Mittag am Telefon, sie haben jeder eine lange Liste neben sich. Jeden Arzt, jedes Krankenhaus in Hamburg und Umgebung rufen sie an. Sie können uns eine Menge Zeit und eine Menge Geld sparen, wenn Sie es mir freiwillig sagen.»
Es kam so unvermittelt, dass er zusammenzuckte. Zuerst war es ein Flüstern. Schon mit der ersten Wiederholung schwoll es zu normaler Lautstärke an. Bei der zweiten schrie sie: «Ich weiß es nicht! Ich weiß es nicht! Ich weiß es nicht! Ich will es auch nicht wissen. Wann begreifen Sie das endlich? Ich bin überhaupt nicht weggefahren an dem Abend. Ich lasse doch meine Schwester nicht allein an ihrem Geburtstag.»
Er hob beide Hände zu einer Geste der Beschwichtigung. «Beruhigen Sie sich, Frau Bender, ganz ruhig. Ich rede nicht vom Geburtstag Ihrer Schwester. Dass Sie an dem Abend nicht ausgegangen sind, weiß ich schon. Ich rede von der Nacht im August, in der Magdalena starb.»
Sie schüttelte den Kopf, wie ein Hund die Regentropfen aus dem Fell schüttelt, ihr Atem ging keuchend. Fast eine Minute verging, ehe sie langsam den Arm hob und auf die Tür zeigte. «Und ich rede gar nicht. Ich hab’s Ihnen so oft gesagt.Ich sag’s jetzt zum letzten Mal: Raus! Verschwinden Sie. Hauen Sie ab, Mann. Sie sind ja schlimmer als die Pest. Glauben Sie im Ernst, dass ich nochmal den Mund aufmache? Da müsste ich ja Prügel haben. Ich erzähle Ihnen Scheiße, und dann werde ich den Gestank nicht mehr los.»
Den Kopf schüttelte sie immer noch, zusätzlich stampfte sie mehrfach mit dem Fuß auf. «Nein! Schluss! Aus! Feierabend! Hier gibt’s nichts mehr, sonst legen Sie mir am Ende noch meine Schwester ins Bett. Raus! Oder ich brülle das ganze Haus zusammen. Und dann sage ich, dass Sie mir Stoff geben wollten und dass ich das Heroin ins Waschbecken gekippt habe. Die werden mir glauben. Sie haben den Kram ja noch in der Tasche. Und dann sage ich, dass Sie mit mir schlafen wollten. Und dann beweisen Sie mal das Gegenteil. Ich mache Sie genauso fertig, wie Sie mich fertig machen, wenn Sie nicht auf der Stelle verschwinden. Ich rede nur noch mit dem, der hier der Chef ist. Dem habe ich heute Morgen alles erzählt.»
«Alles?», fragte er gedehnt und ihre Drohung völlig außer Acht lassend. «Haben Sie ihm wirklich alles erzählt, Frau Bender?»
Etliche Sekunden vergingen, in denen sie mit verschlossener Miene an ihm vorbei auf die Tür starrte und sich ein wenig beruhigte. «Ich habe ihm alles gesagt, was er wissen muss.»
«Und was haben Sie ihm verschwiegen?»
Wieder vergingen einige Sekunden, in denen sie mehrfach schluckte und sich für die Antwort sammelte. «Nichts von Bedeutung.» Der Rest kam stockend. Es fiel ihr sichtlich schwer, überhaupt ein Wort davon über die Lippen zu bringen. «Nur das, was für Sie – irrelevant ist. Dass ich eine Schwester hatte, die mit achtzehn Jahren – an Herzversagen starb.»
Dieses verfluchte Schwanken. Sein Verstand zeigte mitausgestrecktem Arm auf die Tür, sein Gefühl wollte die Arme nach ihr ausstrecken. Ist ja gut, Mädchen, es ist alles gut. Es war nicht deine Schuld. Nichts davon hast du zu verantworten. Kein Mensch wird schuldig geboren.
Stattdessen sagte er: «Ihre Schwester war todkrank, Frau Bender. Sie ist im April aus der Klinik nach Hause gekommen, um dort zu sterben. Sie hat es nur niemandem gesagt.»
«Das ist nicht wahr.» Sie klang, als habe sie kaum noch Atem.
«Doch, das ist es», erklärte
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