Die Sünderin
dramatischen Zwischenfall. Aber beim achtzehnten Foto wurde es kritisch.
Eberhard Brauning bemerkte es nicht sofort. Dem Pfleger fiel auf, dass etwas nicht stimmte. Er legte ihr erneut die Hand auf die Schulter. Und da sah Eberhard, wie sie das Foto anstarrte.
«Kennen Sie den Mann?», fragte er.
Sie reagierte nicht. Und er konnte ihren Gesichtsausdruck nicht einordnen. Wehmut? Sehnsucht? Trauer? Oder Hass?
Unvermittelt schlug sie mit der Faust auf den Tisch. Die beiden Tassen hüpften von den Untertellern. Aus ihrer Tasse schwappte Kaffee über den Tisch. In das Klirren hinein schrie sie mit sich überschlagender Stimme: «Was hast du mit mir gemacht? Ich habe es doch nur für dich getan! Ich wollte nicht, dass sie stirbt. Nur schlafen sollte sie. Du hast gesagt, ich soll sie schlafen lassen und zu dir kommen! Bin ich gekommen? Du musst es doch wissen!»
Eberhard Brauning konnte sich nicht aufraffen, seine Frage zu wiederholen, zog ein Tuch aus der Hosentasche und wischte notdürftig die Kaffeepfütze auf, damit die Fotos nicht verschmierten.
Der Pfleger griff ein, beugte sich zu ihr nieder und meinte besänftigend: «Hey, kleine Frau, nicht aufregen. Das ist nur ein Foto. Der kann Ihnen nichts tun. Ich passe doch auf. Sagen Sie mir, wer er ist, dann gebe ich unten Bescheid. Dann lassen die ihn nicht rein, falls er mal auftaucht.»
Sie schluchzte auf. «Er kommt überall rein. Er ist Satan. Haben Sie schon mal ein Bild von Luzifer gesehen, Mario? Sie zeigen ihn immer mit einem langen Schwanz, einem Klumpfuß und Hörnern. Wie einen Bock mit einer Mistgabel zeigen sie ihn. Aber so kann er gar nicht aussehen, er war doch einer von den Engeln. Und so sieht er auch aus, wenn er einem gegenübertritt. Er macht alle Mädchen verrückt, alle wollen ihn haben. Keine hört mehr zu, wenn sie gewarnt wird. Ich habe auch nicht zugehört. Sein Freund nannte ihn Böcki. Ich hätte wissen müssen, was das bedeutet. Man hat immer die Wahl und die freie Entscheidung zwischen Gut und Böse. Ich habe mich für das Böse entschieden.»
Eberhard Brauning wagte nicht, ihr die Fotografie wegzunehmen. Der Pfleger tat es für ihn. «Böcki», sagte er. «Na, dann legen wir ihn mal zum Tiger. Ich glaube, da gehört er hin.»
Sie nickte.
Der Pfleger führte die Befragung weiter: «Und was ist nun mit dem hier? Gehört der auch dazu?»
Sie schaute sich das erste aussortierte Foto noch einmal an und zuckte mit den Schultern. «Es kommt mir so vor, als hätte ich ihn beim Chef gesehen. Deshalb dachte ich, es wäre sein Schwiegersohn. Aber das kann eigentlich nicht sein. Oder ist sein Schwiegersohn auch Polizist?»
«Fragen wir den Chef, wenn er das nächste Mal kommt»,sagte der Pfleger. Dann wandte er sich an Eberhard Brauning: «War’s das, oder brauchen Sie mich noch?»
Eberhard steckte die Fotos zurück in den Umschlag. Markieren durfte er Böcki und Tiger nicht. Sie sollte Hans Bueckler und Ottmar Denner vor dem Untersuchungsrichter noch einmal identifizieren, sobald man sie dem Richter vorführen konnte. Er schüttelte den Kopf. «Nein. Ich glaube, Sie können uns jetzt allein lassen.» Nach sehr viel Glauben klang es nicht.
Der Pfleger verließ den Raum. Eberhard trank den Rest aus seiner Tasse. Der Kaffee war kalt geworden. Und sie hatte ihre Tasse bisher nicht angerührt.
Sie schaute sehnsüchtig zum Fenster hin. «Sind wir fertig?»
«Noch nicht ganz.» Er wusste nicht, wie er es anstellen sollte.
Rudolf Grovian hatte gesagt: «Wenn sie die Männer identifizieren kann, sind wir einen großen Schritt weiter. Dann brauchen wir als Nächstes den Namen der Klinik, um zu beweisen, dass ihr nicht die eigene Lust zum Bumerang wurde! Wir hatten keinen Erfolg in Hamburg. Natürlich haben wir nicht jeden Arzt gefragt. Aber den Arzt können wir auch vergessen. Dass ihre Tante anderer Meinung ist …» Ein kleiner Lacher hinterher und ein Verweis auf die Neurologie.
Sie war inzwischen gründlich untersucht worden. Man hatte auch den Schädel geröntgt. Der Bericht des Neurologen lag beim Staatsanwalt. Es war äußerst unwahrscheinlich, dass diese Verletzungen in einer Arztpraxis behandelt worden waren.
Die Röntgenaufnahme zeigte ein wahres Spinnennetz. Und für jede Linie gab es einen speziellen Ausdruck. Stirnbein, Scheitelbein, Schläfenbein, Berstungsbruch, Biegungsbruch, Terrassenbruch. Epiduralblutung konnte als wahrscheinlich angenommen werden und noch einiges mehr.
Natürlich war es unmöglich, nach fünf Jahren
Weitere Kostenlose Bücher