Die Sünderin
saß lieber am Schlagzeug als im Hörsaal, amüsierte sich jede Woche mit einer anderen, schwängerte schließlich ein Mädchen aus obskuren Verhältnissen, das so leicht nicht zu haben gewesen war. Dass Frankie sich tatsächlich gefreut haben sollte, Vater zu werden, mochte sein oder auch nicht. Seine Eltern dürften keinesfalls begeistert gewesen sein. Es passte wirklich alles. Rudolf Grovian besaß genug Phantasie, um sich in die seelische Verfassung Georg Frankenbergs hineinversetzen zu können. Ein junger Mann ließ vor Jahren – entweder um Ärger daheim zu vermeiden oder auf Befehl von oben – seineschwangere Freundin sitzen. Vermutlich hörte er irgendwann, dass sie sich im Oktober vor ein Auto geworfen hatte. Damit verklärte sich für ihn die ganze Angelegenheit.
Das Gewissen meldete sich und machte ihm schwer zu schaffen. Wenn er später von dieser Freundin sprach – nur einmal und in Andeutungen –, erklärte er sie für tot, gestorben bei einem Unfall. So konnte man das auch ausdrücken. Aber vergessen hatte Frankie sie nie. Wie oft mochte er sich gefragt haben, was aus ihr und seinem Kind geworden wäre, wenn er sich zu ihr bekannt hätte? Und als sie sich am See auf ihn stürzte …
Dass seine Stimme um einige Grade sanfter klang, fiel ihm nicht auf. «Wir brauchen zumindest die Namen der beiden Männer, mit denen Georg Frankenberg damals zusammen war, Frau Bender.»
Sie hob müde die Schultern. «Ich weiß die Namen nicht. Er nannte die beiden nur seine Freunde.»
«Würden Sie die Männer wieder erkennen?»
Sie atmete tief durch. «Den Dicken vielleicht. Den anderen kaum. Ich habe ihn nur einmal flüchtig gesehen. Er war schon unten, als wir kamen. Es war nicht sehr hell, und er saß in der Ecke. Als er zusammen mit dem Dicken hinausging, habe ich mich nicht um ihn gekümmert.»
So ungefähr hatte er sich das gedacht. Aber es konnte nicht schwierig sein herauszufinden, mit wem Frankenberg für kurze Zeit von einer Karriere als Musiker geträumt hatte. Der nächste Punkt: «Welchen Wagen fuhr Georg Frankenberg, als Sie ihn kennen lernten?»
Sie schaute in den Kaffeebecher. «Das weiß ich nicht mehr. Als ich mitgefahren bin, das war, glaube ich, nicht sein Auto. Der Dicke saß am Steuer.» Nach ein paar Sekunden fügte sie zögernd an: «Das war ein Golf GTI, silberfarben. Das Kennzeichen begann mit einem B. BN vielleicht – ich bin nicht sicher.»
«Und diese Fahrt ging nach Hamburg?»
Sie nickte nur.
«Geht es nicht ein bisschen genauer, Frau Bender? Wie lange dauerte die Fahrt? Welche Abfahrt haben Sie genommen?»
Sie zuckte mit den Achseln und murmelte: «Tut mir Leid. Ich habe nicht aufgepasst.»
«Sie haben also keine Ahnung, in welchem Stadtteil von Hamburg das Haus lag?»
Als sie den Kopf schüttelte, fühlte er Frustration in sich aufsteigen. «Können Sie wenigstens das Haus beschreiben? War es ein freistehendes Haus? Wie sah die Umgebung aus?»
Sie reagierte aufbrausend. «Wem nutzt das denn heute noch? Das bringt doch nichts! Hören Sie: Ich habe gestanden, dass ich ihn erstochen habe. Ich habe Ihnen erklärt, warum ich ihn umgebracht habe. Lassen wir es doch damit gut sein. Wozu wollen Sie das alles wissen? Wollen Sie sich auf die Suche nach dem Haus machen? Dann viel Glück. Hamburg ist groß. Und es war ein großes Haus.»
Sie brach ab, blinzelte nervös, wischte sich mit der Hand über die Augen, als wolle sie einen unangenehmen Eindruck verscheuchen. Unvermindert heftig fuhr sie fort: «Es war eine Villa mit viel Grün drum herum. Mehr weiß ich wirklich nicht. Ich war sehr verliebt und habe mehr auf Johnny geachtet als auf die Umgebung oder die Hausfassade. Den Flur kann ich Ihnen beschreiben. Dann können Sie ja an allen großen Häusern klingeln und fragen, ob Sie sich den Flur mal ansehen dürfen.»
«Vielleicht mache ich das», sagte er. «Wenn Sie mir sagen, wie der Flur aussah.»
«Es war überhaupt kein Flur», murmelte sie. Erneut blinzelte sie heftig, stellte den Kaffeebecher ab, bewegte die Schultern, als sei ihr Nacken verspannt, und biss sich auf dieUnterlippe, ehe sie endlich erklärte: «Es war eine Halle, riesengroß und ganz in Weiß gehalten. Nur im Fußboden waren kleine grüne Steine zwischen den weißen Platten. Und da hing ein Bild an einer Wand, neben der Treppe zum Keller. Ich weiß es noch, weil Johnny mich an die gegenüberliegende Wand drückte und mich küsste. Und die anderen gingen schon die Treppe hinunter. Ich habe ihnen
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