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Die Süße Des Lebens

Die Süße Des Lebens

Titel: Die Süße Des Lebens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paulus Hochgatterer
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weit aufgerissen und gebrüllt wie nie zuvor. Da hat mein Mann gemeint: Sie hat vielleicht ein Tier gesehen, einen Bock oder einen Fuchs. Und ein wenig später hat er dann gesagt: Vielleicht war es ein totes Tier.«
    Er habe sich die Jacke übergeworfen und eine Schleife durchs Gelände gezogen, um die beiden Häuser herum. Da sei nichts Außergewöhnliches gewesen. Er sei nicht auf die Idee gekommen, zur Scheune hinüberzugehen. Eigentlich habe er den Hund mitnehmen wollen, aber der sei wie angeschraubt neben Katharinas Bett gelegen. »Es war Vollmond«, sagte Ernst Maywald, »und die Luft war total klar, das war das einzige Besondere. Ich bin an der Hecke gestanden und habe auf die Stadt hinabgeschaut, vielleicht eine halbe Minute lang. Alles war wie zum Greifen, jede einzelne Laterne an der Uferpromenade.«
    Sie seien dann schlafen gegangen, ohne sich ernsthaft Sorgen zu machen. Der Schwiegervater sei immer gesund gewesen und habe allergrößten Wert auf seine Selbständigkeit gelegt. Nichts habe darauf hingedeutet, dass ihm etwas passiert sei.
    »Wie alt war Ihr Vater?«, fragte Sabine Wieck.
    »Sechsundachtzig«, sagte Luise Maywald, »Anfang März wäre er siebenundachtzig geworden.«
    Die Krähen hätten ihn aufmerksam gemacht, erzählte der Mann, es sei wie im Film gewesen. Er hätte Frühschicht gehabt und sei daher um halb sechs aus dem Haus. Im Gehen zur Garage hinüber habe er zwei Dinge bemerkt: erstens, dass im Haus des Schwiegervaters Licht gebrannt habe, und zweitens das heftige Krähengeschrei. »Es kam von der Scheune herüber«, sagte der Mann, »und ich bin nicht ins Auto gestiegen, sondern habe mir die Stablampe aus dem Kofferraum geholt.«
    »Und dann haben Sie ihn gesehen?«, fragte Sabine Wieck. Manchmal kann sie nicht warten, dachte Kovacs – wenn die Spannung zu groß wird.
    »Ja«, sagte der Mann, »das heißt, es war komisch. Zuerst habe ich die Krähen gesehen, rundherum, vielleicht zehn, vielleicht zwanzig. Auf dem Schneemann, auf dem Hund, im Schnee, als würden sie einen Kreis bilden. Sie sind erst weggeflogen, als ich ganz nahe war und sie direkt angeleuchtet habe. Auf …« Er zögerte. »Auf ihm selbst war keiner der Vögel.«
    Es war nicht schwierig für Kovacs, sich das Bild von eben vor Augen zu rufen. Nach Tierfraß hatte es nicht ausgesehen, da war er sicher.
    »Und dann haben Sie angerufen?«, fragte Kovacs. Der Mann blieb still. »Dann ist er zurückgekommen«, sagte die Frau. »Ich war im Bad und habe ihn im Spiegel gesehen. Meine erste Idee war, es hat uns jemand das Auto aus der Garage gestohlen.«
    »Das Auto?«
    »Ja, er war so blass und so hundertprozentig ratlos und sollte ja in die Arbeit fahren …« Sie hat ein Gefühl für das Naheliegende, dachte Kovacs, und sie kennt ihren Mann. Ernst Maywald war groß, eher hager und hatte riesige Hände.
    Er habe es ihr sofort gesagt, und bevor sie das Bedürfnis gehabt habe, hinauszulaufen, sei ihr Katharina eingefallen. Beiden sei ihnen augenblicklich klar gewesen, woher die blutigen Fingerspitzen des Vorabends und die Verstörung gestammt hatten. »Ich bin rauf ins Mädchenzimmer und habe ihr die Decke weggezogen. Sie ist eingerollt dagelegen mit der Faust und den Stöpseln drin.«
    Zu zweit seien sie zur Scheune gegangen. Ihr sei dort augenblicklich schwarz vor den Augen geworden und sie habe sich in den Schnee setzen müssen. Erst dann hätten sie vom Mobiltelefon ihres Mannes aus die Polizei verständigt. Der junge Beamte sei zwanzig Minuten später da gewesen. Die anderen kämen nach, habe er gesagt. Ansonsten habe er nicht viel geredet.
    Kovacs schaute das kleine Mädchen an. Er deutete auf seine Faust. »Und da hast du die Stöpsel drin?«, fragte er. Das Mädchen schaute in den Raum hinein und sagte kein Wort.
    »Er ist umgefallen und war tot«, sagte die große Schwester, »er war ein alter Mann.«
    »So haben wir es ihnen gesagt«, sagte die Mutter.
    »Habt ihr den Großvater gesehen?«, fragte Kovacs. Der Bub und das ältere Mädchen schüttelten die Köpfe. Der Vater hob abwehrend die Arme. »Um Gottes willen, nein!«
    »Ich glaube, es wäre gut«, sagte Kovacs. Sabine Wieck schaute ihn überrascht an. Er beugte sich hinüber und flüsterte ihr ins Ohr, sie solle vorausgehen und dafür sorgen, dass das Gesicht des Mannes abgedeckt werde. Sie steckte ihren Block ein und stand auf. Sie schaute immer noch verständnislos.
    »Ist das wirklich notwendig?«, fragte Luise Maywald. Kovacs überging die Frage. Er streckte

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