Die Süße Des Lebens
einen leichten Nachhall, vor allem in den mittleren Frequenzen. Horn fand das gar nicht, aber er hörte viele Dinge nicht, die Irene hörte. Er saß in dem alten weinroten Samtfauteuil, starrte an die Decke und fragte sich, zu welcher Art von Menschen Heidemarie Kontakt hatte. Er stellte sich vor, wie sie einige Mitstudenten in ihre kleine Wiener Wohnung einlud, Pasta kochte, und wie sie alle fröhlich und ausgelassen waren.
Die Katze näherte sich maunzend, stieß ihren Kopf seitlich gegen seine Wade. Er klopfte mit der Handfläche einladend auf den Oberschenkel. Sie sprang hinauf, rollte sich in seinem Schoß ein und begann zu schnurren wie ein kleiner Motor. Er dachte daran, dass er in seiner Kindheit nie ein Haustier besessen hatte und dass dafür vermutlich seine Mutter verantwortlich gewesen war, die auf einem großen Innviertler Bauernhof aufgewachsen war, auf dem sich alles nur ums Vieh gedreht hatte. Roland, sein Kindheitsfreund, hatte einen Dackel gehabt, mit dem sie Männchenmachen und Kaninchenjagd gespielt hatten. Einmal hatten sie dem Hund mit einem Stück Spagat die Ohren zusammengebunden. Margit, Rolands große Schwester, hatte sie dabei ertappt und ihrem Bruder, ohne ein Wort zu sagen, eine geknallt. Er selbst war mit einem grimmigen Blick davongekommen.
»Das ist ja die totale Idylle!« Irene stand mit verschränkten Armen in der Tür. Er hatte sie wieder einmal nicht kommen gehört. »Was ist das für eine Musik?«, fragte sie.
»Madeleine Peyroux.«
»Seit wann magst du so was?«
Er hob beschwichtigend die Arme. »Geschenkt bekommen«, sagte er.
»Aha. Wie heißt sie?«
»Madeleine Peyroux, sagte ich doch.«
»Nein, ich meine diejenige, die dir so was schenkt.«
Er richtete sich auf. Die Katze schnurrte noch einmal so laut. »Sei nicht blöd«, sagte er. Irene griff nach der Hülle. »›Careless Love‹«, las sie, »soso«.
»Eine Patientin!«
»Sehr hübsches Kleid.«
»Eine ziemlich depressive Patientin.«
»Ausgesprochen hübsch!«
»Ach Gott!« Er setzte die Katze auf den Boden und erhob sich. »Arme Mimi«, sagte Irene. Er trat auf sie zu und versuchte sie in die Arme zu schließen. Sie tat, als würde sie sich sträuben. »Wird man deswegen Psychiater?«, fragte sie.
»Weswegen?«
»Um Liebesbezeugungen von depressiven Patientinnen entgegenzunehmen.«
»Du blöde Urschel«, sagte er und griff ihr an den Po. Sie lachte und entwand sich ihm. »Warum bist du überhaupt hier?«, fragte sie. »Mir hat es einfach gereicht«, antwortete er, »komm, gehen wir kochen.« Sie trat in den Raum und nahm die Katze auf den Arm. »Wir nehmen Mimi mit«, sagte sie. Er wunderte sich. Das tat sie sonst nie.
Sie einigten sich auf Omelett. Marianne Schwarz hatte vor zwei Tagen vierzig frische Eier gebracht, daher lag das nahe. Irene putzte Jungzwiebeln, Raffael Horn schnitt die Haut einiger Tomaten kreuzweise ein und wartete darauf, dass das Wasser im Topf aufwallte. Daneben begann er von seinem Vormittag zu erzählen: Begonnen habe es mit einem Tobsuchtsanfall Leithners, weil Melitta Steinböck, die Frau des Bürgermeisters, sich sowohl über Zeitpunkt und Qualität des Abendessens als auch über die Wartezeit vor der Computertomografie beschwert hatte, mit einem dieser Leithnerschen Tobsuchtsanfälle, die so besonders unangenehm seien, weil es sich nicht um Tobsuchtsanfälle im eigentlichen Sinn handle, sondern um endlose, hochredundante Suaden, vorgetragen in einem nervenzerfetzend weinerlichen Ton. Prinz habe erwartungsgemäß gekontert, selbst für die Frau Bürgermeister könne man den Himmel nicht umfärben und außerdem orientiere sich sowieso schon das gesamte Team an ihren Launen. Das habe die Sache nicht verbessert, ganz im Gegenteil, Leithner habe zu einem Rundumschlag ausgeholt und am Ende eine generelle Urlaubssperre angekündigt. »Das tut er doch immer«, sagte Irene. Ja, sagte Horn, das tue er immer, weil er sich nicht anders zu helfen wisse, und eigentlich nehme ihn in dieser Beziehung keiner mehr ernst, aber die Tatsache, dass er das selbst merke, mache ihn auch nicht entspannter.
Horn ließ die Tomaten ins kochende Wasser gleiten, wartete zwanzig Sekunden und holte sie mit einem Suppenlöffel wieder heraus. »Zu kurz«, sagte Irene. »Nein, sicher nicht zu kurz«, antwortete er. Es war eins der Rituale, die ausschließlich die Funktion hatten, zu beweisen, dass Kochen zu zweit in Wahrheit nicht möglich ist. Irene schälte nie Tomaten und konnte auch nicht mehr sagen,
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