Die Sumpfloch-Saga Bd. 2 - Dunkelherzen und Sternenstaub
Gerald aus einer anderen Welt“, sagte Lisandra. „Er müsste ein totaler Versager in Zauberei-Fächern sein. Ist er aber nicht.“
„Sein Vater ist reich“, sagte Geicko mit gequetschter Stimme, denn er musste sich gerade sehr anstrengen. „Der kann ihm jede Menge Technik zum Tricksen kaufen.“
„Ach ja? Man kann Zeug kaufen, mit dem man Zauberei vortäuschen kann?“
„Das ist keine Täuschung. Diese Instrumente zaubern wirklich. Manche sind ganz einfach und andere sehr kompliziert. Das ist eine Kunst für sich. Eine teure Kunst.“
„Ah … so was will ich auch!“
Lisandra war so abgelenkt von diesem Wunsch, dass ihr Fuß abrutschte, als sie über einen selbst gebauten Holzsteg balancierte. Vielleicht lag es aber auch daran, dass der Holzsteg nur aus einer vereisten, unebenen Planke bestand. Jedenfalls rutschte sie aus und bekam dabei einen solchen Schrecken, dass es sie von einem Rutscher zum nächsten in eine Nebelkrähe verwandelte. Verdattert flatterte sie im baufälligen Turm umher, vor den Augen von Geicko, der das Schauspiel interessiert beobachtete. Einmal flog Lisandra gegen eine Wand (sie war noch nicht die Flugmeisterin in Person) und von dort rutschte sie unsanft Richtung Boden, wo sie schließlich sitzen blieb, genervt und frustriert, weil sie beim besten Willen keine Ahnung hatte, wie sie wieder ein Mensch werden sollte.
„Soll ich Scarlett suchen?“, fragte Geicko.
Aber Lisandra konnte nicht antworten. In Tiersprache war sie leider auch eine Niete.
Gerald wusste, wie man rudern musste, um in die entlegenen unterirdischen Gewölbe der Festung zu kommen. Er war ja auch schon zwei Jahre länger in Sumpfloch als Scarlett. Sie hatten eine kleine Lampe im Boot stehen und eine Thermoskanne dabei mit Blutpunsch und zwei Bechern. Diesen Punsch, gebraut nach einem Rezept von Viego Vandalez, hatten sie immer abends im Hungersaal getrunken, wenn sie dort etwas spielten. Er gehörte zum Winterferien-Ritual.
„Werden wir das Zeug auch noch im Sommer trinken?“, fragte Scarlett, als Gerald die Ruder beiseite gelegt und die Thermoskanne geöffnet hatte.
„Wenn wir bis dahin nicht verstritten sind, vielleicht“, antwortete er.
„Wie sollen wir uns verstreiten? Ich weiß gar nicht, was ich noch tun könnte, damit du sauer wirst. Ich hab schon alles versucht!“
Breites Grinsen.
„Gibst du mir deinen Becher?“
„Hier ist es so schön still“, stellte Scarlett fest. „Es tropft und plätschert und sonst ist hier keine Menschenseele. Das ist schön.“
„Ich bin eine Menschenseele.“
„Außer uns, meine ich. An dich hab ich mich so gewöhnt, das stört nicht weiter.“
„Scarlett, allmählich musst du aufpassen!“, sagte er.
„Warum?“
„Das war für deine Verhältnisse fast eine Liebeserklärung: Ich hab mich an dich gewöhnt, das stört nicht weiter …“
„Ach was“, sagte Scarlett und nahm den gefüllten, dampfenden Becher, den er ihr reichte. „Ich meine das rein freundschaftlich.“
„Natürlich.“
Etwas, das keine Menschenseele war, schwamm irgendwo im Dunkeln durchs Wasser. Es störte sie beide nicht. Wenn es überhaupt etwas gab, das Scarlett störte, dann war es dieses Gefühl, dass sie sich wohlfühlte. So wohl, dass alles, was sie normalerweise an Kratzbürstigkeit aufbringen konnte, butterweich wurde und nicht mehr zur Abschreckung taugte. Wie sollte das weitergehen? Sie konnte einem wie Gerald unmöglich vertrauen. Vertrauen in dem Sinne, dass sie sich auf ihn verließ und ihn brauchte, um glücklich zu sein. Seit Hanns und Eleiza Plumm aus Scarletts Leben verschwunden waren, hatte sie so etwas nicht mehr gemacht: Sich auf einen Menschen, den sie liebte, verlassen. Es führte zu nichts als Tränen und Verlust und Schmerzen. Denn nichts dauerte ewig.
„Hanns und ich, wir waren als Kinder im gleichen Waisenhaus“, sagte sie. „Er war der einzige, der mit mir befreundet sein wollte.“
„Das spricht für ihn“, erwiderte Gerald.
„Ja, er kommt mit allen gut aus. Er ist immer so nett und höflich. Deswegen wurde er auch adoptiert. Danach haben wir uns nie wiedergesehen. Bis gestern.“
„Wieso habt ihr euch nicht geschrieben?“
„Ich wusste ja nicht, wo er ist“, sagte Scarlett ausweichend. „Außerdem konnten wir noch nicht besonders gut schreiben. Wir waren ja erst acht oder so.“
„Der konnte bestimmt mit acht schon schreiben wie ein Weltmeister“, sagte Gerald. „Warum hat er dir nie geschrieben, er wusste doch, wo du
Weitere Kostenlose Bücher