Die Sumpfloch-Saga Bd. 2 - Dunkelherzen und Sternenstaub
kleinen Taschenspiegel. Als sie ihre störrische Lockenpracht in der ganz normalen braunen Farbe erblickte, fing sie an zu strahlen.
„Oh Mann“, sagte sie, „was bin ich froh!“
Das war Scarlett auch. Sie schwor sich, Viegos Ratschläge in Zukunft gewissenhafter zu beherzigen, zumindest einige davon. Und dann war da noch etwas, das sich nicht mehr aus der Welt schaffen ließ. Das verhasste Mädchen mit den langen, blonden Haaren und der rosa Strickjacke hatte Scarlett aus der Patsche geholfen. Es widerstrebte Scarlett, aber sie musste es einsehen: Berry hatte was gut bei ihr.
Lisandra war kein Mädchen, das sich leicht einschüchtern ließ. Wann immer es der Ladezustand ihres Armreifs zuließ, trainierte sie mit Geicko das Zaubern. Bald gelang es ihr, einen Kerzenständer so zum Wackeln zu bringen, dass er umkippte, oder einen Luftzug zu erzeugen, den Geicko im Gesicht spüren konnte. Die Erkenntnis, dass Zaubertalent nur eine Frage der Ausstattung war, erfüllte sie mit Eifer und Begeisterung.
„Dieser Armreif ist nur der Anfang!“, erklärte sie ihrem Verbündeten Geicko. „Eines Tages werde ich mir eine ganze Garderobe aus Zaubereitechnik zulegen. Das Beste vom Besten und ich werde so lange üben, bis ich eine Meisterin auf diesem Gebiet bin und es mit jedem echten Zauberer aufnehmen kann!“
„Da wärst du nicht die Erste“, stellte Geicko unbeeindruckt fest. „General Kreutz-Fortmann war bekannt dafür, dass er nur mit Instrumenten gezaubert hat. Der war ein Genie! Hat aber auch schon als kleines Kind mit dem Training angefangen. Da kommst du nie dran!“
„Sag das nicht!“
„Abgesehen davon – wie willst du dir so eine Ausstattung zulegen? Dazu muss man steinreich sein!“
„Werde ich. Vergiss nicht, ich kann mich in einen Vogel verwandeln. Das muss doch zu irgendwas gut sein? Damit hab ich jedem gewöhnlichen Kriminellen was voraus. Ich überfalle Goldtransporte oder schmuggle mich in Tresorburgen ein.“
„Oder klaust heilige Riesenzähne aus Museen.“
„Ja, den Wunderzahn hätte ich auch gerne. Ich würde zu gerne wissen, wo er jetzt ist und wie er aussieht!“
„Die Spur führt nach Finsterpfahl, haben sie in den Nachrichten gesagt.“
Sie schwiegen und betrachteten den kleinen, reißenden Strom, der ihren baufälligen Turm neuerdings vom Rest der Festung trennte. Wenn das Wasser weiter so stieg, mussten sie wieder auf einen anderen Treffpunkt ausweichen.
„Gerald wollte doch bald mit der Wahrheit rausrücken“, sagte Geicko. „Hat er das schon getan?“
„Nein. Meinst du, ich sollte ihm noch ein Schweigegeschenk aus den Rippen leiern?“
„Bloß nicht! In deiner Haut will ich nicht stecken, wenn Scarlett das rausfindet.“
„Warum?“
„Wer weiß, was sie mit dir macht, wenn sie richtig wütend ist.“
„Wieso?“
„Jeder sagt, dass sie gefährlich aussieht. Man sollte sie nicht unnötig ärgern.“
„Ach was, Scarlett ist ganz lieb.“
Über so eine Aussage konnte sich Geicko nur wundern. Um mal ein richtiger Schurke zu werden, so einer wie General Kreutz-Fortmann, war Lisandra eindeutig zu gutgläubig.
Das Hochwasser sorgte bei Hanns für schlechte Laune. Scarlett hatte ihn noch nie so wortkarg und missmutig erlebt wie in diesen sonnigen Tagen. Es lag wohl daran, dass er im Hinterzimmer der Bibliothek, wo er so gerne die alten, wertvollen Schinken studierte, auf etwas gestoßen war, das er unbedingt erforschen wollte: Angeblich gab es unter der Festung eine geheime Grotte, die noch aus der Zeit stammte, als die Feen im Wald gelebt hatten. Damals gab es einen blau leuchtenden See in der unterirdischen Höhle, der von warmen Quellen gespeist wurde, und die Feen nahmen darin heilige Bäder. Das Licht verschwand mit den Feen und die Grotte mitsamt ihren geheimen Zugängen geriet mehr und mehr in Vergessenheit. Man nannte die Grotte später das „Feenmaul“, da sich Tropfstein in ihr gebildet hatte, was sie wie einen großen Rachen aussehen ließ. Heute war die Grotte vermutlich schwarz und das Wasser brackig, doch Hanns wollte sie unbedingt suchen und finden.
Scarlett war dankbar, dass ihn das Hochwasser daran hinderte. Sie vermutete, dass sie längst wusste, wo das Feenmaul war. Bestimmt handelte es sich um die Höhle, in der sie im Winter mit Gerald gewesen war. Er hatte ihr nie erzählt, dass die Höhle „Feenmaul“ hieß, aber da die Grotte schwer zugänglich war und man einen unterirdischen Wasserfall durchqueren musste, um dorthin zu
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