Die Täuschung
uns geholt. Aber wir mussten und müssen weitermachen, bis der Tag kommt, an dem wir unsere gegenwärtige Realität ändern können, indem wir die Vergangenheit modifizieren.« Er griff sich an den Kopf, weil er offensichtlich die Auswirkungen der beherrschten, aber nichtsdestoweniger extremen Leidenschaft zu spüren begann, mit der er mir seine Geschichte erzählt hatte. »Und dieser Tag ist nicht mehr weit, Gideon – ganz und gar nicht mehr weit.«
Ich setzte mich wieder auf meinen Stuhl. Die größten Verrücktheiten werden einem oftmals in augenscheinlich vernünftiger Form aufgetischt; und ich sagte mir, dass ich deshalb einen Moment lang nervös, ja sogar leichtgläubig gewesen war. Ich gestand mir auch ein, dass ich ihn nicht zwingen konnte, sich gründlich auszuruhen und sich der umfangreichen medikamentösen und psychotherapeutischen Behandlung zu unterziehen, die er fraglos benötigte; trotzdem unternahm ich einen letzten schwachen Versuch, ihn zu erreichen:
»Ich frage mich, ob Ihnen klar ist, welche Sprache Sie benutzen, Malcolm. Und ob Ihnen das nicht etwas sagt.« Er antwortete nicht, was ich als Zeichen auffasste, dass er bereit war, sich anzuhören, was ich zu sagen hatte. »Sie reden davon, ob es ›technisch machbar‹ wäre, die Vergangenheit zu verändern«, fuhr ich fort. »Finden Sie nicht – gerade angesichts Ihrer eigenen Vorgeschichte –, dass solche Formulierungen schrecklich vorbelastet sind? Ich bezweifle nicht, dass Sie die Gegenwart, die Ihnen ›gegeben‹ worden ist, gern ändern würden – dazu haben Sie jeden erdenklichen Grund. Aber Sie müssten sich einmal hören …« Ich stand auf und ging zu ihm hin. »Sie können versuchen, mit den Werkzeugen, die Ihr Vater entwickelt hat, die von ihm mit aufgebaute Welt zu zerstören. Sie können die Gesellschaft in heillose Verwirrung stürzen und die Öffentlichkeit täuschen, sodass sie Ihrer Version der Geschichte glaubt, Sie können sogar zusehen, wie Menschen und Städte vernichtet werden, und Sie können sich die ganze Zeit einreden, dass es ein notwendiger und edler Kreuzzug sei. Aber am Ende werden Sie immer noch derselbe sein – Sie werden trotzdem krank sein, Sie werden trotzdem diese Krücken und diesen Rollstuhl brauchen, und Sie werden trotzdem von Kummer und Zorn verzehrt werden. Sie wollen nicht die Vergangenheit ändern, Malcolm – Sie wollen Ihre Vergangenheit ändern.«
Mehrere Minuten lang sagte keiner von uns ein Wort; dann wurden Malcolms funkelnde Augen schmal, und er nickte ein oder zwei Mal und kehrte zu seinem Stuhl zurück. Er setzte sich langsam hinein, dann blickte er zu mir auf und fragte:
»Haben Sie sonst noch irgendetwas anzubieten, Gideon – abgesehen von Plattitüden?«
Beleidigungen größenwahnsinniger Patienten waren gewiss nichts Neues für mich; aber ich muss zugeben, dass diese mich traf. »Wenn Ihnen das wirklich so klar ist«, erwiderte ich und versuchte, mir nichts anmerken zu lassen, »wie können Sie dann trotzdem mit dem weitermachen, was Sie tun?«
Er stieß ein verächtliche Zischen aus. »Gideon«, sagte er und schüttelte sichtlich enttäuscht den Kopf. »Glauben Sie wirklich, ich hätte noch nie über diese Dinge nachgedacht? Nie die Behandlungen über mich ergehen lassen, die Sie vorschlagen? In meiner Jugend habe ich sie allesamt ausprobiert: Psychotherapie, Elektroschocks, medikamentöse Therapie, alles – natürlich mit Ausnahme einer weiteren Gentherapie, aber ich glaube, man kann es mir nachsehen, dass ich darauf verzichtet habe. Und ja, ich weiß mittlerweile, was mich antreibt, wie tief der Zorn in mir sitzt, dass meine Motive persönlich und politisch zugleich sind. Aber letzten Endes sage ich Ihnen dasselbe, was ich jedem anderen Arzt gesagt habe, bei dem ich war.« Seine Augen verloren etwas von ihrem manischen Glanz; stattdessen lag nun unverfälschte Traurigkeit in seinem Blick. »Es ändert im Grunde überhaupt nichts, habe ich Recht?«
»Ändert im Grunde überhaupt nichts?«, echote ich erstaunt. »Mein Gott, Malcolm, wenn Sie wissen, dass Sie aus persönlicher Voreingenommenheit und vagen Gefühlen heraus handeln …«
»Oh, meine Gefühle sind absolut klar, Gideon«, antwortete er. »Mir ist klar, dass ich die Welt hasse, die mein Vater und seinesgleichen geschaffen haben – eine Welt, in der Männer und Frauen an der genetischen Struktur ihrer Kinder herumpfuschen, nur um deren Intelligenzquotienten zu erhöhen, damit sie, wenn sie einmal erwachsen sind,
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