Die Täuschung
Ich wusste nur zwei Dinge mit Sicherheit, und das waren dieselben, die ich bereits gewusst hatte, als ich den Raum betreten hatte: dass ich nicht länger auf dieser Insel bleiben oder mich an der Verwirklichung von Malcolms Plänen beteiligen konnte, und dass ich Larissa mitnehmen wollte, wenn ich ging. Meine Unsicherheit, ob ich Malcolm dies sagen sollte, war angesichts seines verrückten Monologs verflogen, und ich platzte ziemlich unverfroren mit all dem heraus; doch kaum hatte ich das getan, nahm sein Gesicht einen trotzigen, bedrohlichen Ausdruck an, und ich bereute meine Kühnheit.
»Ich weiß nicht recht, ob mir der Gedanke gefällt, dass Sie frei in der Gegend herumlaufen, Gideon«, sagte er in bedächtigem Ton, »nachdem Sie nun all unsere Geheimnisse kennen. Und glauben Sie ernsthaft, Larissa würde mit Ihnen kommen?«
»Wenn Sie ihr nicht im Weg stehen«, erwiderte ich so tapfer, wie ich konnte. »Und was Ihre Geheimnisse betrifft, worüber machen Sie sich Sorgen? Denken Sie daran, ich bin ein Verbrecher, ich habe es nicht eilig, zu den Behörden zu gehen. Und selbst wenn, wer in aller Welt würde mir glauben?«
Malcolm legte den Kopf schief und dachte darüber nach. »Vielleicht …«
Auf einmal sog er die Luft tief in die Lungen und riss die Hände an seine Schläfen. Ich trat auf ihn zu, um ihm zu helfen, aber er winkte ab. »Nein!«, sagte er zähneknirschend und suchte in seiner Tasche nach seinem Injektor. »Nein, Gideon. Das … geht Sie nichts mehr an. Nehmen Sie Ihr zartes Gewissen … und verschwinden Sie – sofort !«
Was blieb mir anderes übrig, als ihm zu gehorchen? In Anbetracht all dessen, was wir miteinander durchgemacht und zueinander gesagt hatten, wäre es unangemessen, ja sogar grotesk gewesen, uns Lebewohl zu sagen. Ich ging einfach zur Tür und öffnete sie. Mein Zorn war verflogen, mein Mitleid betäubt. Beim Hinausgehen drehte ich mich noch einmal zu Malcolm um, der zusammengekauert dasaß, den Injektor an einer Vene in seiner Hand, und durch seine immer noch zusammengebissenen Zähne vor sich hin murmelte.
Wie schade, ging es mir auf einmal durch den Kopf, dass sein ganzes Gerede über Zeitreisen so offenkundig wahnhaft gewesen war; denn letzten Endes hatte die Gegenwart einem Menschen wie ihm wirklich nur sehr wenig zu bieten.
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N un blieb mir nur noch ein einziges Problem, nämlich wie viel ich den anderen von meinem Gespräch (falls man es denn so nennen konnte) mit Malcolm erzählen sollte. Ich wusste, dass sie ihm alle treu ergeben waren, und hatte keineswegs die Absicht, in diese Beziehungen einzugreifen. Aber sie hatten ein Recht zu erfahren, dass sein Verhalten und seine Äußerungen bei mir Zweifel an seiner geistigen Gesundheit geweckt hatten, und so bat ich sie, bei Sonnenuntergang zu mir zu kommen. Während ich ihnen meine Geschichte erzählte, saß ich in dem Aussichtsfenster, das auf die kleine Bucht hinausging, und die allgegenwärtigen Vogelschwärme veranstalteten bei ihrer Abendmahlzeit ein solches Spektakel, dass es mir schwer fiel, in dem gedämpften Ton zu sprechen, den die Situation, wie ich unwillkürlich spürte, von mir verlangte. Ich gab mir Mühe, bei meiner Erklärung möglichst unvoreingenommen zu sein, versuchte aber auch, offen zu sprechen und nichts wegzulassen; ich wies darauf hin, dass Malcolm sich beharrlich weigerte, eine wie auch immer geartete Verantwortung für die Katastrophe von Moskau zu übernehmen, und ging ausführlich auf seine offenbar ehrliche Überzeugung ein, dass er bald imstande sein würde, durch die Zeit zu reisen.
»Hat er zufällig gesagt«, bemerkte Eli, der zu meiner Überraschung und Bestürzung höchst neugierig dreinschaute, »wessen Konfiguration er emuliert?«
Ich musste heftig den Kopf schütteln. »Wie bitte?«
»War es die von Gödel?«, fuhr Eli fort. »Von Kerr? Oder vielleicht von Thorne?«
»Die von Thorne doch nicht«, sagte Jonah abschätzig. »Nicht einmal Malcolm hat die Macht, in seinem Labor ein Wurmloch zu erschaffen …«
»Eli? Jonah?« Ich ließ mir meine Bestürzung deutlich anmerken. »Es bringt überhaupt nichts, wenn ihr ihm in diesem Punkt nach dem Mund redet. Es ist eine Fata Morgana – und eine potenziell gefährliche obendrein –, die ihre Grundlage in vielen alten und neuen psychologischen Traumata hat …«
»Bist du dir da ganz sicher ?«Es war Malcolms Ton, aber die Stimme gehörte Larissa. Sie saß neben mir, sah mich aber nicht an. Ihr Gesicht war von tiefer Sorge
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