Die Täuschung
muss dich getrieben haben. Das weiß ich. Nicht einmal ein Dummkopf würde freiwillig hierher kommen.«
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D er Name des Mannes war Mutesa, wie ich bald erfuhr; und in den kommenden Monaten sollten er und seine Familie sich als meine Retter erweisen. Sie nahmen mich als eine Art Kreuzung zwischen Mündel und Haustier bei sich auf, nachdem ihr Häuptling, der bereits erwähnte Dugumbe, erklärt hatte, ohne einen Bürgen könne ich nicht in dem mobilen Wehrlager des Stammes bleiben. Dugumbe hielt sich für einen aufgeklärten Despoten: Er kleidete sich in eine ausgeklügelte Kombination aus traditioneller Tracht und diversen modernen Militäruniformen und würzte seine Worte gern mit prägnanten Attacken auf die westliche Gesellschaft. Sein persönlicher Verhaltenskodex beruhte – das behauptete er jedenfalls – auf dem wichtigsten Leitsatz eines Vorfahren aus dem neunzehnten Jahrhundert: »Nur die Schwachen sind gut – aber nur deshalb, weil sie nicht stark genug sind, um schlecht zu sein.« Doch trotz all seiner Großspurigkeit besaß Dugumbe eine erstaunliche intellektuelle Strenge, ja sogar Gelehrsamkeit, und mit der Zeit wurde er mir gegenüber etwas umgänglicher. Aufgrund unserer gemeinsamen Abneigung gegen die technologisch höher entwickelte Welt jenseits der afrikanischen Küsten wurden Dugumbe und ich schließlich sogar in gewissem Sinn Freunde; aber die Dankbarkeit und die Zuneigung, die ich Mutesa, seiner Frau und ihren sieben Kindern gegenüber empfand, standen immer an erster Stelle und waren zu diesem Zeitpunkt bereits fest verankert und unwiderruflich.
Dugumbe machte von Anfang an klar, dass ich nicht nur eine Familie brauchte, die mir Unterkunft gewährte und mich ernährte, solange ich bei seinem Stamm war, sondern dass ich auch eine Aufgabe in seiner eindrucksvollen Streitmacht aus fünfhundert disziplinierten, kampferprobten – und, was nicht verschwiegen werden soll, erbarmungslosen – Männern übernehmen musste. Ich hatte natürlich keineswegs vor, die bemerkenswerte Technologie, die in meiner Schultertasche verborgen war, an sie weiterzugeben; zum Glück waren Mutesa und sein Kommando bei meinem Zusammenstoß mit ihren Feinden so weit vom Ort des Geschehens entfernt gewesen, dass sie einfach davon ausgegangen waren, ich hätte die Männer mit einer konventionellen Waffe getötet. Überdies konnte ich dem Gedanken, mit einer amerikanischen oder europäischen Sturmwaffe in der einen Hand und einer primitiven Machete in der anderen in einen Stammeskrieg zu ziehen, nicht allzu viel abgewinnen. Ich fragte Dugumbe, ob er so etwas wie einen Sanitätsoffizier habe, und er sagte, er habe natürlich den Schamanen seines Stammes, sei sich aber darüber im Klaren, dass westliche Ärzte bei Kampfverletzungen oftmals effizienter seien. Und so wurde ich ein Feldchirurg, wobei ich mich auf meine medizinischen Kenntnisse aus dem Studium und noch mehr auf die elementaren Grundsätze der Hygiene und Sterilisierung verließ.
Wir kämpften diesen ganzen Winter und Frühling in den Bergen, wo ich einen Großteil meiner Zeit darauf verwendete, von Dugumbes Leuten in Erfahrung zu bringen, welche Pflanzen mit medizinischen Eigenschaften sie kannten. Schließlich hatten wir eine ziemlich rudimentäre Apotheke beisammen – zum Glück, denn für Menschen wie sie war keine »Medizin« im westlichen Sinn mehr erhältlich. Auf dem Höhepunkt der Aids-Epidemie hatten die westlichen Pharmaunternehmen – nachdem sie zu Publicity-Zwecken unbedeutende Mengen von Anti-HIV-Medikamenten gespendet hatten – nicht nur damit aufgehört, solche teuren Produkte nach Afrika zu schicken, sondern auch den Versand von Arzneimitteln gegen die Vielzahl anderer Krankheiten eingestellt, die den Kontinent dezimierten: Schlafkrankheit, Malaria und Ruhr, um nur ein paar zu nennen. Der Not gehorchend, hatten die Frauen von Stämmen wie dem Dugumbes in den folgenden Jahren neue Heilmittel im Dschungel gesucht (sein Schamane verließ sich weiterhin auf Zaubersprüche und absurde Trünke, die hauptsächlich aus verwestem Tier- und Menschenfleisch bestanden) und mehrere Pflanzen mit starken antibiotischen und analgetischen Wirkstoffen entdeckt. Einige davon, wie zum Beispiel die Wurzel, mit der ich während meiner ersten Tage in den Bergen experimentiert hatte, riefen sehr starke Nebenwirkungen hervor, die von Halluzinationen bis zum Tod reichten; aber in kontrollierten Dosen waren sie äußerst nützlich, und in meinen Augen lag eine
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