Die Tarotspielerin: Erster Band der Tarot-Trilogie (German Edition)
fluchte. Während er sich den Schädel rieb, stoppelte er ein »¡Adelante!« – »Herein!« – zusammen. Die Brettertür schwang auf, und ein zahnloses Weib trat ein. Die Wirtin trug einen Tonteller mit einem Fladen, der faulig roch.
»La cena« , brummte sie und knallte den Teller auf einen Schemel. Sie blieb unter dem Türsturz stehen. Goswin machte keine Anstalten, den Fladen zu verzehren. Die Wirtin wischte sich die Hände an ihrer schmutzstarrenden Schürze und begann eine Tirade, die Goswins Spanischkenntnisse überforderte.
»Verschwinde!«, herrschte er die Alte an.
Die Wirtin wiederholte ihre Beschimpfungen, bis die Kammer mit zweisprachigem Gezänk erfüllt war.
»Zum Teufel«, schrie Goswin, »wir zahlen für deine elenden Dienste. Diese Kammer ist schmutziger als ein Schweinekoben.«
»Es ist ihr Zimmer«, mischte sich die schwache Stimme einer Frau ein. »Sie will es zurück, ihr Mann hat schlimmen Husten und muss in der verrauchten Küche schlafen.«
Goswin fuhr zu dem Holzgestell herum, das zusammen mit einem Strohsack das Bett bildete.
»Du bist wach?«
»Ja, und anscheinend lebendig.« Sie sagte es mit milder Verwunderung. So also fühlte sich eine Auferstehung an. Keine Jubelchöre, keine Euphorie, keine Engel mit Posaunen wie auf der Tarotkarte. Nur ein grimmiger Soldat und ein gebeugtes Weiblein.
»Die Frau will hier keine Tote liegen haben. Übrigens, wo bin ich?«
»In einem Dorf hinter dem Rabanalpass.«
»Ich bin nicht tot und in der Hölle?«
»Es fehlt nicht viel. Eine Hölle ist dieses Dorf in jedem Fall.«
Die Alte hatte die Unterhaltung schweigend verfolgt. Sie wiederholte ihre Beschwerden, schien aber besänftigt, weil die Tote lebendig war. Sidonia bat sie auf Spanisch, die Kammer zu verlassen. Als unten das Rasseln von Karrenrädern laut wurde, verschwand die Wirtin.
Goswin stand vor Sidonias Bett. »Ich hatte die Hoffnung fast aufgegeben. Über eine Woche hast du gefiebert und nichts gegessen. Ich musste mit dir wie mit tausend Teufeln kämpfen, um dir Wasser einzuflößen.«
»Danke.« Sidonia richtete sich benommen von Schmerzen auf dem Strohsack auf. Ein Stechen durchfuhr ihre Brust, als ob tausend Messer in sie eindrangen. Jetzt fühlte sie sich wirklich lebendig. Zu dumm, dass das Gefühl mit solchen Schmerzen verbunden war. Mit zitternder Hand tastete sie nach einem Verband unter ihrem Hemd. »Ich bin nicht tot«, stellte sie sachlich fest. Dann sah sie Goswin an. Ihre Pupillen wurden weit. »Und wenn du lebst, dann lebt auch Gabriel Zimenes! Oh, mein Gott, wo ist er?«
Goswin kratzte sich den Schädel. »Nicht hier.«
»Wo ist er?«
Goswins Miene wurde hart. »Nur ihm hast du zu verdanken, dass du nicht auf dem Pass verblutet bist. Er ist ein guter Arzt. Das Loch in deiner Brust war groß wie ein Taubenei. Der Schuss durchschlug deine Schulter, knapp über deiner – eh – Brust und dem Herzen.«
Sidonias Lippen formten ein tonloses Gebet, dann tastete sie wieder nach dem Verband. »Was, was hat er getan?«
»Die Wunde ausgebrannt«, murmelte Goswin. Schweiß trat auf seine Stirn. »Du hast geschrien wie ... nun ja. Ein guter Arzt muss kaltblütig sein. Kannst froh sein, dass er immer Tinkturen und Mittelchen mit sich herumschleppt. Ich will gar nicht wissen, was er in das Schwämmchen geträufelt hat, das er dir unter die Nase gebunden hat. Hat dich zur Ruhe gebracht. Wirklich – ein Künstler.«
»Oder ein Teufel! Wie konntet ihr die Fahrt über das Meer überleben? Ich hörte die Kanonen, sah, wie das Licht verlosch. Ihr wart tot!«
»Und du warst ein Mann, als ich dich zuletzt sah. Die Dinge sind nicht immer, was sie scheinen.« Goswin griff nach der Tonschale mit dem Fladen und setzte ihn auf Sidonias Bett. »Iss!«
»Sag mir, wo Gabriel ist!«
»Iss!«
»Erzähl mir von eurer Rettung!«
»War weniger wunderbar, als du annimmst. Gabriel wartete einen gegnerischen Schuss ab. Die Kugel traf weit von uns entfernt ins Wasser. Krumme Geschütze. Dann löschte er alle Lichter, genau wie zuvor bei der Negrona. Wir ruderten direkt auf das Korsarenschiff zu.«
»Ihr seid auf das Schiff zugerudert?« Ungläubig ließ Sidonia den Fladen auf den Teller fallen.
»Iss!«
»Ich kann nicht, es riecht fürchterlich.«
»Es schmeckt noch schlimmer, aber Gabriel hat klare Anweisungen gegeben. Du musst essen!«
»Nur wenn du mir die ganze Geschichte erzählst.«
Seufzend nickte Goswin. »Die Idee, auf das Korsarenschiff zuzurudern, hat sich als klug
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