Die Tarotspielerin: Erster Band der Tarot-Trilogie (German Edition)
banden die Männer fest und schichteten weiteres Holz und Reisig auf. Ein Henkersknecht schritt die Reihen ab und schwenkte seine Fackel vor den Gesichtern der Todgeweihten. Schielend schauten einige den Flammen nach. Der Erste, dessen Gesicht schon zum dritten Mal von der Flamme gestreift worden war, schrie auf. Dann begann er stammelnd zu reden: »Ich bekenne meine Sünden. Ich will heim zu meinem Herrn!«
Der Dominikaner, der ihn begleitet hatte, begann aus vollem Halse zu singen, als schwindele ihm vor Trunkenheit. Dann erkletterte er den Scheiterhaufen und küsste den Elenden, der eine straffe Haltung annahm.
Nur die Eingeweihten wussten, dass man in diesem Moment die Stricke angezogen und ein Eisenband um seinen Hals gelegt hatte. Auf der Rückseite des Kreuzes hinter dem Nacken des Geständigen befand sich ein X aus Eisenstangen, der Henker ergriff die Schäfte des X und drehte sie schnell herum. Der Gefesselte begann zu zittern, riss Mund und Augen auf, dann fiel sein Kopf zur Seite. Sein Beichtvater sprang vom Scheiterhaufen. Im gleichen Moment entzündete ein Henkersknecht den Reisighaufen zu seinen Füßen. Knisternd schlugen Flammen empor, lodernd sanken die Reiser in sich zusammen, Holzscheite knackten.
Das Volk schrie in entsetztem Entzücken. Einige Mütter hielten ihre Kinder in die Höhe, damit sie schon auf Erden einen Blick auf das Höllenfeuer tun konnten, vor dem die Gnade des Herrn sie bewahren würde, wenn sie den Priestern gehorchten. Das nächste Opfer wurde auf seinen Scheiterhaufen getrieben.
»Wo bleibt der Karren mit Fadrique?«, fragte Tavera flüsternd und drehte nervös an seinem Ring.
»Er wird als Letzter verbrannt, Euer erzbischöfliche Gnaden. Es wird der Höhepunkt des Spektakels sein.«
»Der Richter wird ihm doch ebenfalls die Gnade der Garotte gewähren?«
Aleander schüttelte den Kopf. »Der Padre lehnte es ab.«
Tavera betrachtete traurig seinen Ring. »Was für ein Mann!«
Ärgerlich rückte Aleander ein Stück von ihm ab.
»Wir werden die Garotte zum Einsatz bringen, falls er sich untersteht, eine Predigt zu halten.«
Tavera schaute hoch. »Glaubst du, er tut das?«
»Diesem Narren ist alles zuzutrauen.«
»Ich hörte, er bat auch um Gnade für meinen Uhrmacher Corriano.«
»Ja«, knurrte Aleander.
»Großzügig.«
»Ich hoffe, Ihr meint mich, Bischof. Immerhin habe ich Eurem ketzerischen Liebling sowohl die Folter erspart als auch die Garotte bewilligt. Er geht direkt vor Fadrique in die Flammen. Das ist mehr als genug für einen Ingenieur des Teufels.«
»Und des Kaisers«, wagte Tavera einzuwerfen. Aleander antwortete mit einem drohenden Blick.
Tavera schwieg und zog seinen Mantel enger um sich. Ihn fröstelte trotz der Hitze der Flammen, die nun von fünf Scheiterhaufen herüberwehte und das Bild der brennenden Mönche in eine flimmernde Vision verwandelte.
Der Bischof zog ein parfümiertes Tuch hervor. Wenngleich vor ihm nur Erdrosselte verbrannt wurden, war der Geruch entsetzlich. Sein Blick fiel auf den armen Corriano, der eben vom Karren gezogen wurde. Heimlich hob er die Hand zu einem letzten Gruß. Was für ein sinnloser Tod! Tavera hatte an den Kaiser geschrieben, aber keine Reaktion erhalten. Die Nachricht musste den Kaiser, dessen Hof zurzeit in Burgos weilte, zu spät oder gar nicht erreicht haben. Vielleicht hatten Aleanders Verbündete unter den Beamten die Nachricht verschwinden lassen. Anders war nicht zu erklären, dass der Herrscher der Welt nichts unternahm, um seinen Techniker zu retten, der ihm unzählige Uhren konstruiert hatte. Karl V. liebte Uhren, sie gaben ihm das Gefühl, nicht nur Herr der Welt, sondern auch der Zeit zu sein.
Und er ließ sich gern Zeit. Es war sein ärgerlichster Fehler. Nach der Plünderung Roms zögerte er nun seit Monaten die Entscheidung über das Schicksal des gefangenen Papstes hinaus, genauso wenig konnte er sich entschließen, die Türken anzugreifen, die sein Weltreich von Süden her bedrohten, oder Luther endlich zu vernichten. Man sagte, bisweilen befalle ihn eine Schwermut, so als laste die Krone zu sehr auf seinem Haupt. Was konnte ihm da schon das Schicksal seines Ingenieurs bedeuten?
Rauchschwaden wehten über die Tribüne und verschleierten das Bild des Uhrmachers, den ein Beichtvater mit herabgezogener Kapuze belagerte. Corriano schien ihm vieles mitzuteilen zu haben. Anscheinend wollte er den Schritt über den Abgrund hinauszögern. Der verhüllte Mönch lauschte ernst und nickte
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