Die Tarotspielerin: Erster Band der Tarot-Trilogie (German Edition)
andere lieben, Sidonia. Vergiss das nicht, egal was geschieht.«
Jetzt erst verstand sie auch Fadriques Erklärung, Zimenes habe das Noviziat aus Liebe zu ihr aufgenommen. Gabriel glaubte, dass er sich nicht zwischen sie und Adrian von Löwenstein stellen durfte. Den Einzigen, der sie und ihre Familie retten konnte.
»Du wirst ein gutes Leben haben« , hatte Gabriel in jener Nacht in der kleinen Kirche zu ihr gesagt, wissend, dass der Ritter noch lebte. Sidonia strich sich müde über das Gesicht. Im Licht der Vernunft betrachtet, hatte er Recht: Wenn sie den Ritter verließ, würde sie auch Lambert, ihren Vater und Rosalia im Stich lassen. Sie musste nach Köln zurückkehren, an der Seite ihres hochgestellten Mannes. Sie musste ihnen mit dieser Heirat Geld einbringen. Das Haus van Berck benötigte Geld, um Lamberts Prozess zu gewinnen und das Geschäft des Vaters wieder aufzubauen. Adrian von Löwenstein war ein Höfling Karls V. Er hatte Einfluss, verkehrte mit den Größten der Welt. Gott hatte alle ihre Wünsche erfüllt, mit denen sie diese seltsame Reise angetreten hatte.
Aber zum Teufel, was hatte Vernunft mit ihren Gefühlen für Gabriel zu tun? »Ich liebe dich gegen meinen Willen, gegen meine Vernunft und gegen jedes Gesetz der Welt« , hatte er gesagt. Ein Satz, der sie in maßlose Wut versetzt hatte. Aber war es nicht mit ihrer Liebe zu ihm genauso?
Sidonia spürte, dass ihr Kopf zu schmerzen begann. Sie musste an die Luft. Das Zimmer schien entsetzlich stickig. Nur hinaus hier, hinaus aus diesem Leben, das ein Gefängnis mit unsichtbaren Mauern war. Sie stand vom Bett auf, wusch sich das brennende Gesicht mit Wasser, das in einer Kanne bereitstand, und streifte sich achtlos das prachtvolle Kleid über, das die Magd zurechtgelegt hatte. Dann stieß sie die Tür auf und stieg langsam die Treppe zum Innenhof hinab. Sie erstarrte. An dem Steintisch in der Mitte des Patios saß Lunetta.
Sidonia übersprang die letzten Stufen und lief dem Mädchen entgegen, das hinter dem Tisch hervorkam, um sie zu umarmen.
»Sidonia«, rief Lunetta erfreut.
Verblüfft hielt diese das Kind von sich weg. »Du sprichst? Wie ist das möglich?«
» ¡Sí! Ich meine ja, ich bin nicht mehr stumm. Ich kann sogar deine Sprache. Un poco. Von Mutter. Sie lernte sie von Adrian, meinem padre. Als ich ihn in der Kathedrale von Santiago sah, war es, als wolle Gott mich zwingen, wieder zu sprechen. Ich rief nach ihm. Padre! Mein Vater war gekommen, um mich zu retten.«
Die nächste Stunde vergaß Sidonia das beklemmende Gefühl, das sie seit dem Aufstehen beherrscht hatte. Erst als Lunetta von ihren Abenteuern berichtet und von denen Sidonias erfahren hatte, fragte sie, wo Gabriel sei.
Lunetta senkte betroffen die Augen. »Er ist nicht hier.«
»Das sehe ich«, sagte Sidonia fast ärgerlich. Dann besänftigte sie ihren Blick und entschuldigte sich. »Verzeih, ich zürne nicht dir. Es ist wegen ihm ...«
»Ich weiß es«, sagte Lunetta schlicht.
»Was?«
Lunetta zog mit spitzbübischem Lächeln eine Karte hervor. Die Liebenden. »Du verzeihst mir doch, dass ich mir die großen Trümpfe von dir wieder geholt habe? Sie steckten in deiner Satteltasche drüben im Stall.«
Sidonia runzelte die Stirn und griff nach der Karte. »Bei dir sind sie sicher besser aufgehoben. Wann hast du diese Karte für mich und Gabriel gezogen?«
Lunetta schüttelte den Kopf. »Ich habe sie nicht gezogen. Ich weiß es ohne die Karten. Ich weiß es, seit ich euch beide auf der Negrona sah. Und damals in Köln, als ich diese Karte vor dem Fest zum ersten Mal zog, galt sie ebenfalls euch!«
Sidonia seufzte und fuhr mit den Fingern über das Bild des nackten Paares unter dem Paradiesbaum. »Ja. Ich tanzte am Abend meiner Verlobung mit Gabriel, bevor ich Aleander ... Gabriel war der Mann, den ich lieben sollte. Hätte ich es nur sofort erkannt, vielleicht ... Jetzt ist es zu spät. Wahrscheinlich ist er bereits mit Fadrique auf dem Weg in die Neue Welt.«
Lunetta schüttelte den Kopf. »Nein, das glaube ich nicht.«
Sidonia blickte hoffnungsvoll auf. »Sagen die Karten dir etwas anderes?«
Lunetta senkte den Blick. »Um ehrlich zu sein, werden die Karten mir ein immer größeres Rätsel, seit ich wieder spreche. Meine Eingebungen werden blasser. Gott hat mich aus der Welt der Schatten zurückgeholt. Ich fürchte, meine Begabung ist das Opfer, das ich für die Rückkehr in die Welt der Sprache bringen muss.«
Sidonia sah, dass Lunetta nicht wirklich
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