Die Tarotspielerin: Erster Band der Tarot-Trilogie (German Edition)
schwarz. Mit langen Schritten eilte er auf sie zu. Sie stand still, schloss ihre Augen, hörte auf zu atmen. Er fasste sie bei den Armen und riss sie an sich. Endlich!
»Was zum Teufel hast du dir dabei gedacht!«
Zimenes’ Zorn ließ sie zurückprallen, unsicher trat sie nach hinten.
»Pass doch auf! Geh nicht so nah an die Dachkante!« Er zog sie zur Mitte des Daches und schüttelte sie. »Wie konntest du dich so in Gefahr begeben? Und wie hast du Goswin überredet, bei diesem wahnwitzigen Plan mitzuhelfen? Er sollte dich von hier wegbringen! Du bist störrischer als ein Maulesel und eine elende Lügnerin dazu! Du hattest versprochen, nach unserer letzten Begegnung aus Santiago fortzugehen! Was hattest du auf dem Platz zu suchen? Um ein Haar wärst du jetzt tot und Fadrique und Goswin mit dir!«
Sidonias Herz machte wilde Sprünge, sie lachte und weinte zu gleicher Zeit. »Oh, Gabriel, du machst dir Sorgen um mein Leben?« Sie presste ihr Gesicht in den Stoff seiner Kutte. Er roch nach Ingwer, so wie damals auf der Negrona. »Gabriel, du bist jetzt frei. Fadrique wird leben und tun, was er immer getan hat. Und du bist frei zu tun, was du wirklich willst! Du gehörst der Welt und nicht irgendeinem Orden.« Stürmisch schlang sie die Arme um ihn, spürte, dass er zitterte. Dann wurde sein Körper steif. Bis auf seine Arme. Er legte sie um sie. Sanft, unendlich sanft. Sie presste sich fester an ihn, ihr schwindelte. Sie schwiegen. Jedes Wort schien gefährlich. Jede Frage konnte dieses schwebende Glück zerstören. Nein, sie würde nichts fragen. Nicht jetzt. Sie wusste alles.
»Ich bin dir seit unserer letzten Begegnung eine Antwort schuldig«, unterbrach Gabriel die Stille.
Sidonia drückte ihr Gesicht noch tiefer in den Stoff seiner Kutte.
»Ich liebe dich, Sidonia van Berck.«
Sie riss ihren Kopf hoch. »Ist das wirklich wahr?«
»Ich bin ein Mönch, ich muss die Wahrheit sagen.« Gabriel lächelte, aber es war ein Lächeln, das einem Abschied glich. Sidonia hätte es gern weggewischt. »Ein Mönch? Heißt das, dass du diese Kutte anbehalten willst?«
Ein Abglanz von Spott brachte Gabriels Augen zum Funkeln. »Die Kutte werde ich jede Nacht ablegen. Mönche schlafen nackt.«
»Liebende auch.«
»Mein Entschluss steht fest.«
»Aber Fadrique lebt, du bist frei!«
Gabriel fasste ihre Hände und nahm sie zwischen die seinen.
»Ich war immer frei in meinen Entscheidungen. Und nun komm, ich muss mit dem Padre sprechen.«
»Worüber? Was könnte jetzt so wichtig sein?«
»Ich will ihn überzeugen, mit mir in die Neue Welt zu gehen.«
Sidonia löste sich von ihm. »Das kann nicht dein Ernst sein! Nie und nimmer. Du hast gesagt, dass du mich liebst!«
»Das tue ich. Gegen meinen Willen, gegen jede Vernunft und gegen jedes Gesetz! Genügt dir das nicht?«
Sidonia holte aus, ihre Hand sauste direkt auf sein Gesicht zu, dieses Gesicht, das sie in ihren Träumen zum Weinen brachte, ihr im Wachen so viel Schmerz bereitete. Sie schlug fest zu und holte noch einmal aus.
Gabriel fing ihre Hand ab, riss sie an sich und küsste sie. Zögernd zunächst, dann leidenschaftlich. Ohne zu zögern erwiderte Sidonia den Kuss, fasste in seine Haare und zog ihn zu sich hinab.
Es dauerte Minuten, ehe sie sich heftig atmend voneinander lösten. Gabriel wollte etwas sagen, sie schüttelte nur den Kopf und zog ihn wieder an sich. Seine Hände glitten über ihren Nacken. Er streichelte sie, spürte den Verband über ihrer Wunde und streichelte auch diesen sanft.
Sidonia umarmte ihn fester. Seine lebendige Wärme raubte ihr den Atem. Genau wie dieser Kuss. Die Zärtlichkeit des Moments war unwirklich. Sidonia zitterte bei jeder von Gabriels Berührung und zitterte noch mehr, wenn sie ihn berührte. Er fuhr mit dem Nagel seines Daumens die Linie ihres Halses nach.
Sidonia seufzte, sie wusste, dass diesmal alles richtig und gut war. Näher konnten ein Mann und eine Frau einander nicht sein. Gabriels Augen waren dunkel vor Begehren, die ihren hell vor Glück.
Zimenes’ Stimme war heiser, als er sprach: »Ich werde nie eine andere lieben, Sidonia.« Er legte seine Hände auf ihre Schultern und schob sie sanft von sich fort. »Vergiss das nicht, egal, was geschieht.« Sidonia schaute ihn fragend an.
»Vergesst nicht, dass dies hier eine Kirche ist!«
Fadriques Stimme ließ sie aus dem Taumel der Verschmelzung hochschrecken. Der Padre war nicht allein. Hinter ihm stand ein blonder Mann in Rüstung. Seine Miene war grimmig.
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