Die Tarotspielerin: Erster Band der Tarot-Trilogie (German Edition)
an.
Aleander stöhnte wie zur Bestätigung und versuchte den Kopf zu drehen. »Geh nicht, Zimenes«, raunte er tonlos.
Erstaunt schauten der Padre und Gabriel auf den Leidenden hinunter. Estrellas Lippen umspielte ein wissendes Lächeln, während sie in gespielter Demut Gabriel das Tuch übergab.
»Ich bin zu ungeschickt, du wirst mich noch eine Weile unterweisen müssen.«
3
Niedergeschlagen kehrte Sidonia in den Palacio Löwenstein zurück. Man hatte sie und Lunetta nicht in den Palast des Erzbischofs vorgelassen. Selbst der Titel Condesa Löwenstein hatte die Türen nicht geöffnet. Enttäuscht zog Sidonia sich in ihr Schlafzimmer zurück.
Der Ritter ging in den nächsten Tagen seinen Geschäften nach. Kehrte er in das Haus zurück, schloss er sich in seinem Arbeitszimmer ein. Nur Lunetta durfte täglich für wenige Augenblicke zu ihm.
»Er trauert um meine Mutter«, sagte sie, als Sidonia sich wie an jedem Nachmittag für einen Gang durch Santiago anzog. Noch immer war sie auf der Suche nach Fadrique.
Sidonia runzelte die Stirn. »Was für eine elende Farce, dass er und ich aneinander gebunden sein sollen! Ein gemeinsames Leben wäre eine einzige Qual.«
Lunetta legte sanft eine Hand auf ihren Arm. »Er wird zu seinem Wort stehen und deine Familie retten.«
Sidonia bedeckte Kopf und Gesicht mit einem dichten Schleier. Die spanischen Sitten waren streng für verheiratete Frauen von Stand. Nach ihrem ersten Ausflug als Condesa Löwenstein hatte die Magd sie getadelt, weil sie mit offenem Haar herumspaziert war. Jeden Morgen wurde sie nun frisiert. Das Haar lag in straff geflochtenen Zöpfen um ihren Kopf. Ihre Haut wollte die Magd nach neuester höfischer Sitte mit einer Paste bleichen, die scharf nach Katzenurin und Bleiweiß roch.
Die Spitzenkragen von Sidonias Kleidern reichten bis unter das Kinn und zwangen sie, den Kopf hoch zu tragen. Sie gaben ihr einen Vorgeschmack auf das Leben an der Seite eines spanischen Höflings. Das Stachelhalsband eines Jagdhundes hätte nicht unbequemer sein können. Sidonia unterwarf sich der Kleiderordnung nur, um ihre täglichen Streifzüge durch die Gassen nicht zu gefährden. Jetzt, wo der Conde zurück war, galt dessen Bediensteten sein Ansehen alles. Seine Frau verdiente Respekt, aber nur solange sie dem Ansehen des Conde nicht schadete. Und da der Graf nicht eingriff und nichts tat, um ihre Position zu stärken, wurde sie von seinen Bediensteten wie eine Marionette herausgeputzt, gegängelt und geführt.
Sidonia lernte rasch, dass ihre Stellung als Gräfin ihre Freiheiten noch ärger beschnitt, als es ihre Position als Kaufmannstochter in Köln je getan hatte. Vergeblich fragte sie alle im Haus nach dem Padre. Auch über Gabriel erhielt sie keine Auskünfte. Man ließ sie nicht einmal zu ihrem vermeintlichen Ehemann vor, da er nicht nach ihr verlangte.
»Willst du denn nicht zurück nach Köln?«, fragte Lunetta.
Sidonia schüttelte unwirsch den Kopf. »Nicht, solange ich nicht mit Fadrique gesprochen habe.«
»Soll ich die Karten für dich legen?«
»Nein!« Sidonia biss sich auf die Lippen. Sanfter fuhr sie fort. »Du sagst selbst, dass dir die Karten mehr und mehr zu einem Rätsel werden, und ich will mein Schicksal nicht kennen, Lunetta. Es wird mich früh genug einholen. Tu mir nur einen Gefallen: Sag dem Gesinde, ich hätte mich zurückgezogen. Und halte vor allem die Magd mit der grässlichen Bleichpaste von hier fern.«
»Lieber würde ich dich begleiten.«
»Was ich nicht darf, dürftest du wohl erst recht nicht.«
»Ein Hexenkind darf alles!«
»Du bist kein Hexenkind, sondern die Tochter des Ritters von Löwenstein. Lunetta, dein Vater braucht dich, bleib hier.«
Sidonia schlich in den Hof hinab und durchquerte ihn so still wie möglich. Erst nachdem sie das Tor zur Gasse passiert hatte, beschleunigte sie ihre Schritte. Sie durchkämmte die herbstlichen Straßen systematisch, besuchte zunächst das Collegium Fonseca, vor dem sich die Theologie-und Rechtsstudenten nach den Vorlesungen sammelten.
Sie trödelte am Brunnen vor der Universität herum und lauschte auf die Gespräche der Schüler. Hin und wieder fiel der Name Fadrique, wurde seine Errettung vor dem Feuertod in immer wilderen Geschichten erzählt. Der herabstürzende Holzvogel hatte sich in einen heiligen Drachen verwandelt, den Sankt Jakob geschickt oder gar geritten hatte. Doch keiner der Märchenerzähler schien zu wissen, wo der Padre sich aufhielt.
Sidonia löste sich von dem
Weitere Kostenlose Bücher