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Die Tarotspielerin: Erster Band der Tarot-Trilogie (German Edition)

Die Tarotspielerin: Erster Band der Tarot-Trilogie (German Edition)

Titel: Die Tarotspielerin: Erster Band der Tarot-Trilogie (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marisa Brand
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sich zu der Hinrichtung zu schleichen. Fadrique hatte es verboten. Doch dieses eine Mal hatte sie nicht gehorcht.
    Seither wusste sie mehr vom Leben und vom Sterben, als ihr lieb war. Die Welt war kein gerechter Ort, das Leben keine Heimat. Seit dem Tod der Mutter hatten ihre Träume und Ahnungen an Klarheit gewonnen. So wie sich bei Tieren die Instinkte schärften, wenn sie Gefahr witterten, so waren ihre Traumgesichte zu ihrer zweiten Natur geworden.
    Ihre Mutter hatte sie stets ermahnt, ihre Hellsichtigkeit gleichermaßen als Gabe und als Fluch zu betrachten. »Überlege dir genau, wem du welche Erkenntnisse preisgibst, mein Kind. Die Wahrheit zu kennen heißt Verantwortung zu übernehmen, auch dafür, wem du sie offenbarst und wem nicht.« Gott hatte ihr diese schreckliche Verantwortung genommen. Er hatte ihr das Schweigen geschenkt, als ihre Mutter starb.
    Lunetta erklomm die letzte Sprosse des Niedergangs, steckte den Kopf in den Nachthimmel und betrachtete die Sterne über sich. Der Himmel war tröstlich wie der Mantel Marias, ein besticktes Tuch aus nachtblauem Samt.
    »Falmouth a la vista« , schrie von oben ein Späher auf Spanisch. An zwei der drei Schiffsmasten klebten Ausguckkörbe, in denen Seeleute die englische Küstenlinie nach Leuchtfeuern absuchten.
    »Der Wind dreht«, schallte es über Deck. Matrosen schossen an Lunetta vorbei. Ihre Unterhaltung war eine einzige Abfolge von Flüchen, während sie über schnarchende Passagiere sprangen, um in die Wanten zu steigen und die Besegelung der Brise anzupassen. Ablandiger Nordostwind, ein Segen für jeden Spaniensegler. Ein Wendemanöver stand bevor.
    Lunetta sprang an Deck, tauchte unter Hängematten ab und lief zur Reling. Sie stolperte über einen Pilger, der auf einer Taurolle nächtigte, und wich seinem schlaftrunkenen Tritt aus. »Untersteh dich, hier dein Geschäft zu verrichten«, knurrte der Mann.
    Endlich erreichte sie eine Stelle am Bug, wo sich das 30 Meter lange Schiff so verjüngte, dass niemand dort Platz zum Schlafen gefunden hatte. In ihrem Rücken erhoben sich die Bugaufbauten und Galerien, die mit Kanonen bestückt waren. Ein Soldat hielt Wache bei den Geschützen. Er schien eingenickt zu sein. Wind strich durch ihr Leinenhemd und kühlte ihre Haut. Links von ihr löste ein Matrose eine der Wanten vom Block, während das Langruder umgelegt wurde. Segel begannen zu flattern. Der Navigator stieß den Mann zur Seite, um mit dem Quadranten einen Stern anzuvisieren.
    Lunetta war für die konzentriert arbeitende Besatzung unsichtbar. Ein Zustand, den sie ebenso genoss wie ihr Stummsein. Dabei zu sein und doch nicht dazuzugehören schenkte ihr ein seltenes Gefühl von Geborgenheit. Sie fühlte sich auf diese Weise jener Welt zwischen Leben und Tod nahe, aus der sie gelegentlich Fingerzeige empfing.
    Für einen Moment wurde es stiller, der Wind pfiff nicht mehr in der Takelage, die Bugwelle zischte nicht mehr an der Bordwand. Als die Negrona die Wende vollzogen hatte, knallte der Wind wieder in die Segel, Wanten wurden festgezurrt, und das Schiff nahm neuen Kurs auf, pflügte mit gebauschten Segeln durchs schwarze Wasser. Einige Pilger waren von ihren Taurollen herabgerollt und schimpften. Dann beruhigte sich alles. In der Ferne sprangen die Leuchtfeuer der Karacke. Sie verschwanden, wenn das altersschwache Schiff in ein Wellental sank, dann tauchten sie wieder auf.
    Lunetta sog den Wind ein. Sie drehte ihren Kopf zum Heck und sah die weißen Stoffbahnen von Aleanders Zelt leuchten. Der Zauber des Augenblicks war dahin. Es half nichts, sie musste sich dem Mann fügen, denn er hatte der Mannschaft aufgetragen, sie – das Ketzerkind – genau im Auge zu behalten.
    Es gab genug grobe Gesellen an Bord, die sich einen Spaß daraus gemacht hätten, sie an den Pfahl zu bringen, um sie auszupeitschen oder sie kielholen zu lassen. Ein umgetretener Eimer konnte genügen, um den Zorn der Seeleute auf sich zu ziehen, und zornig waren sie immer, denn ihre Arbeit war hart, das Essen schlecht, die Behandlung durch die Kommandanten grob und die Gefahren zahllos.
    Sie wandte ihren Kopf wieder zum Meer und sah nicht, wie sich die Zeltbahnen auf dem Achterkastell teilten und der Dominikaner hinkend an Deck trat. Stattdessen lauschte sie einem leisen Tappen, das vom Niedergang der Bugskajüten zu ihr drang. Ein Passagier schien wie sie auf der Suche nach frischer Luft zu sein. Der Moment des Friedens außerhalb menschlicher Gesellschaft war vorbei.
    Widerwillig

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