Die Tatarin
den Weg nach Moskau verlegen und wird einer weiteren Schlacht nicht aus dem Weg gehen. Unsere Chancen stehen gut, denn wir kämpfen in unserem eigenen Land, während sich die Soldaten Carls XII. so weit von ihrer Heimat entfernt haben, dass sie schon bald mit Nachschubproblemen zu kämpfen haben werden. Fasst also Mut und tut eure Pflicht!«
Apraxin bewegte die Kiefer, als müsse er sich die nächsten Worte zurechtkauen. »Die Arbeiten in Sankt Petersburg müssen schneller vorangetrieben werden, besonders die an der Festung und der Admiralitätswerft. Der Zar schreibt zu Recht, dass die Zeit nahe ist, in der unsere Flotte sich mit den schwedischen Geschwadern messen und sich den Weg aufs offene Meer erkämpfen muss. Pjotr Alexejewitsch befiehlt außerdem, jeden Mann, den wir entbehren können, nach Süden zu schicken, um seine Truppen zu verstärken, doch solange Lybecker noch eine Bedrohung darstellt, kann ich unsere Garnisonen nicht entblößen. Daher werden Hauptmann TarlowsSteppenwölfe und dreihundert Dragoner, die ich ebenfalls unter sein Kommando stelle, die Stadt morgen verlassen und in Eilmärschen zu den Truppen des Zaren stoßen. Die Leutnants Raskin und Tirenko werden Tarlow begleiten, selbst wenn sie auf ihren Pferden festgebunden werden müssen.«
Das wird wohl auch Sergej nicht erspart bleiben, schoss es Schirin durch den Kopf, während der Fürst noch einige Anweisungen an die in Sankt Petersburg verbleibenden Offiziere erteilte, und sie sah sich Hilfe suchend um. Sie benötigte mindestens einen Mann, der noch fest auf den Beinen stand, um Sergej in ihr gemeinsames Quartier zu schaffen. Wanja war längst ein Opfer des Wodkas geworden und lag zusammengerollt wie ein Hund in einer Ecke des Raumes, und der Einzige, der noch halbwegs nüchtern wirkte, war Kitzaq.
Schirin stieß ihn an. »Hilf mir, den Hauptmann in unsere Kammer zu tragen!«
Er nickte, schüttelte dann aber den Kopf. »Wir bringen ihn zuerst ins Freie und sorgen dafür, dass sein Magen den restlichen Wodka von sich gibt, sonst wird er morgen nirgendwohin reiten.«
Schirin musste Kitzaq Recht geben. Es war besser, Sergej so gut es ging auszunüchtern, um ihn nicht Apraxins Zorn auszuliefern. Daher packte sie seine Beine, während Kitzaq ihn unter den Schultern fasste, und sie trugen ihn wie einen nassen Sack bis ans Ufer der Newa, die am Palais vorbeifloss. Während Kitzaq den Hauptmann festhielt, steckte Schirin ihm einen Finger in den Mund, um ihn zum Erbrechen zu bringen. Dabei musste sie Sergej mit ihrem Dolchgriff daran hindern, in ihre Hand zu beißen, und als sie es endlich geschafft hatte, dass er seinen Mageninhalt hochwürgte, drohte er zu ersticken. Kitzaq ließ ihn über das Wasser hängen und klopfte ihm auf den Rücken, als wolle er Lehm aus einem Teppich schlagen. Sergej protestierte zwar murmelnd gegen die harte Behandlung, wurde aber nicht richtig wach. Daher trugen Schirin und Kitzaq ihn zum Pferdestall hinüber, zogen ihn aus und tauchten ihn in das eiskalte Wasser eines Trogs.
Während der Prozedur beobachtete Kitzaq amüsiert, dass Schirin versuchte, ihren Blick von gewissen Stellen an Sergejs nacktem Körper fern zu halten, und dabei immer wieder schuldbewusst errötete. Der Tatar spürte die Anziehungskraft, die diese beiden Menschen aufeinander ausübten, und fragte sich, wohin das noch führen sollte. Er hatte Sergej während ihres Kriegszugs als umsichtigen, kaltblütig planenden Anführer kennen gelernt, der aber auch bereit war, Ratschläge seiner Gefolgsleute anzunehmen. Schirin war zwar die Tochter eines kriegerischen Khans, wegen ihrer russischen Mutter jedoch kaum mehr Ziegen wert als eine Sklavin.
Als sie Sergej, der trotz des kalten Wassers nicht wach geworden war, ins Bett gebracht hatten, zog Kitzaq Schirin zu sich herum und sah sie ernst an. »Hast du dir überlegt, was du tun willst, wenn die Russen herausbekommen, dass du ein Mädchen bist – oder besser gesagt eine mannbare Frau?«
»Sei doch still!« Schirin blickte sich erschrocken um. Aber niemand konnte Kitzaqs Worte belauscht haben, denn die Tür der Kammer war geschlossen, und er hatte recht leise gesprochen. Daher fasste sie sich wieder und zuckte mit den Achseln. »Ich werde die Russen verlassen und zu unserem Stamm zurückkehren, bevor es dazu kommen kann.«
Kitzaq verzog das Gesicht. »Du willst wieder zurück, trotz Zeyna und der anderen Weiber, die dich ständig gequält und verspottet haben?«
»So schlimm war es auch wieder
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