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Die tausend Herbste des Jacob de Zoet

Die tausend Herbste des Jacob de Zoet

Titel: Die tausend Herbste des Jacob de Zoet Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Mitchell
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Penhaligon, aber er wird es nicht wagen, ihn öffentlich zu äußern: Die Offiziersmessen der Marine sind voll mit Ersten Leutnants, die durch den frühen Tod ihres Protektors verwaist sind. Andererseits könnte sich Hovell von einem gesunden Förderer abwerben lassen und auf ein anderes Schiff wechseln, wodurch Penhaligon nicht nur seines besten Offiziers, sondern auch der Dankesschuld eines künftigen Kapitäns beraubt wäre. Sein Zweiter Leutnant, Abel Wren, der seit seiner Heirat mit Flottillenadmiral Joys gewissenloser Tochter über beste Verbindungen verfügt, wird sich bei diesen unerwarteten Karriereaussichten die Lippen lecken. Das heißt , folgert Penhaligon, ich befinde mich im Wettlauf gegen meine Gicht. Gelingt es mir, den Niederländern ihr Kupfer abzujagen, bevor die Gicht mich niederstreckt - und ich bitte dich, lieber Gott, stemme Nagasakis Schatztruhen für mich auf -, ist meine finanzielle und politische Zukunft gesichert. Andernfalls werden Hovell oder Wren den Ruhm einheimsen, dass die Engländer sich das Kupfer und die Handelsniederlassung geschnappt haben - oder aber das gesamte Vorhaben misslingt, und John Penhaligon setzt sich, von der Welt vergessen, mit einer nur widerwillig und stets zu spät gezahlten Pension in der Provinz zur Ruhe. In düsteren Stunden ist mir, als habe Fortuna mich vor acht Jahren nur zum Kapitän gemacht, damit sie sich voller Wonne auf mich setzen und ihren Darm über mir entleeren kann. Zuerst verpfändet Charlie die Reste des Familienanwesens, häuft im Namen seines jüngeren Bruders Schulden an und verschwindet; dann setzt sich sein Finanzmakler und Bankier nach Virginia ab, dann stirbt Meredith, seine geliebte Meredith, an Typhus, und zuletzt fällt Tristram, der kraftstrotzende, lebensfrohe, angesehene, gutaussehende Tristram in der Schlacht bei Kap Vincent und hinterlässt seinem gramgebeugten Vater nur das Kruzifix, das der Schiffsarzt geborgen hat. Und nun kommt die Gicht, denkt er, und droht, auch noch meine Laufbahn zu zerstören ...
    «Nein», Penhaligon greift nach dem Rasierspiegel. «Wir werden das Spiel zu unseren Gunsten wenden!»
    Als der Kapitän die Kajüte verlässt, wird der Wachposten - sein Name ist Banes oder Panes - vom Schotten Walker, einem anderen Seesoldaten, abgelöst. Die beiden salutieren. Auf dem Batteriedeck kauern Waldron, der Hauptkanonier, und Moff Wesley, ein Junge aus Penzance, bei einer Kanone. Wegen der Dunkelheit und der tosenden See bemerken sie den lauschenden Kapitän nicht. «Wiederhol’s noch mal, Moff», sagt Waldron. «Erstens?»
    «Mit dem nassen Schwabber das Rohr von innen auswischen, Sir.»
    «Und wenn ein versoffener Esel sich dämlich dabei anstellt?»
    «Dann bleibt glühende Asche vom letzten Schuss im Rohr, Sir, und wenn das nächste Mal geladen wird ...»
    «... reißt es dem Kanonier die Arme weg: Ich hab’s einmal miterlebt, und das genügt. Zweitens?»
    «Wir legen die Kartusche ein, Sir, oder wir schütten das Pulver lose rein.»
    «Und wird das Schießpulver von kleinen hüpfenden Kobolden gebracht?»
    «Nein, Sir: Ich hol’s aus dem hinteren Magazin, immer eine Ladung auf einmal.»
    «Richtig, Moff. Und wir halten keinen großen Vorrat bereit, weil?»
    «Weil ein einziger sprühender Funke uns den A-..., uns in Stücke reißen würde, Sir. Drittens ...», Moff zählt an den Fingern ab, «... rammen wir mit dem Ansetzer das Pulver fest, tun das Geschoss rein und drücken einen Stopfen obendrauf, Sir, weil, wenn das Schiff stampft, fällt die Kugel wieder raus und platscht ins Meer.»
    «Und dann stehen wir da wie eine Mannschaft Franzmänner. Sechstens?»
    «Die Kanone nach vorne schieben, bis die Lafette an das Schanzkleid stößt. Siebtens: Gänsekiel in den Zündkanal stecken. Achtens: Es wird mit dem Steinschloss gezündet, und der Zündkanonier ruft: ‹Feuer!› Dann setzt das Zündkraut das Pulver im Lauf in Brand, und der Schuss wird abgefeuert, und alles, was der Kugel in die Quere kommt, wird in die Luft gejagt, Sir.»
    «Und die Lafette», wirft Penhaligon dazwischen, «tut was?»
    Waldron ist ebenso erschrocken wie Moff: Er springt zum Gruß auf und stößt sich den Kopf an der Kanone. «Hab Sie gar nicht bemerkt, Captain, Verzeihung!»
    «Und die Lafette», wiederholt Penhaligon, «tut was, Mr. Wesley?»
    «Durch den Rückstoß läuft sie zurück, bis die Brooktaue sie auffangen.»
    «Was geschieht, wenn eine zurücklaufende Kanone das Bein eines Matrosen trifft, Mr. Wesley?»
    «Also ...

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