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Die tausend Herbste des Jacob de Zoet

Die tausend Herbste des Jacob de Zoet

Titel: Die tausend Herbste des Jacob de Zoet Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Mitchell
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es war, was es war, Herr van Cleef.»
    «Oh, hört nur Vater Calvin!» Van Cleef zieht die Hose an und steigt mit einem Bierkrug hinaus zu Jacob aufs Dach. Er ist nicht betrunken, hofft Jacob, aber völlig nüchtern ist er auch nicht. «Der göttliche Vater hat jeden von euch nach seinem Ebenbild geschaffen, die niederen Triebe eingeschlossen, oder irre ich mich da?»
    «Gott hat uns geschaffen, ja, aber in der Heiligen Schrift steht klar und deutlich -»
    «Ja, ja, heiliger Ehebund, sündige Hurerei. In Europa ist das schön und gut, aber hier ...», van Cleef zeigt wie ein Dirigent auf Nagasaki, «... muss man improvisieren! Enthaltsamkeit ist etwas für Vegetarier. Wenn Sie sich nicht um Ihre Eier kümmern - das ist medizinisch erwiesen -, schrumpfen sie und fallen ab, und was für ein Leben ...»
    «Das», fast muss Jacob lächeln, «ist nicht medizinisch erwiesen.»
    «... was für ein Leben erwartet unseren verlorenen Sohn, wenn er ohne Klöten nach Walcheren zurückkehrt?» Van Cleef nimmt einen Schluck aus dem Krug und wischt sich den Bart am Unterarm ab. «Junggesellendasein und Sterben ohne Erben! Die Anwälte werden sich auf Ihren Besitz stürzen wie Krähen auf einen Gehenkten! Dieses schöne Haus», er schlägt auf die Dachziegel, «ist kein Sündenpfuhl, sondern ein Kurort, um die künftige Saat zu hegen - Sie haben doch das Rüstzeug angelegt, das Marinus uns aufgenötigt hat? Aber wem sage ich das? Natürlich haben Sie.»
    Van Cleefs Mädchen beobachtet sie aus ihrem Zimmer.
    Jacob stellt sich Oritos Augen vor.
    «Von außen ein kleiner hübscher Schmetterling ...», ein tiefes Seufzen lässt van Cleef schwanken, und Jacob fürchtet, dass sein Vorgesetzter doch betrunkener ist, als er vermutet hat - ein Sturz vom Dach könnte tödlich enden, «... aber wenn man ihn auspackt, erlebt man immer dieselbe Enttäuschung. Das Mädchen kann nichts dafür, es liegt an Gloria, die mir am Hals hängt wie ein Mühlstein. Aber was interessiert das einen jungen Mann, dessen Herz noch nicht gebrochen ist?» Der Faktor starrt in das Gesicht des Himmels, und der Wind holt die Welt aus den Federn. «Gloria war meine Tante. Ich wurde in Batavia geboren, aber man schickte mich nach Amsterdam, damit ich lernte, was ein Mann von Welt so braucht: geschraubt zu parlieren, zu tanzen wie ein Pfau und beim Kartenspiel elegant zu betrügen. Der Zauber endete an meinem zweiundzwanzigsten Geburtstag, als ich mit meinem Onkel Theo auf der Enkhuizen die Heimreise nach Java antrat. Onkel Theo war wie jedes Jahr nach Holland gekommen, um dem Ostindienhaus die Märchen des Generalgouverneurs aufzutischen - die van Cleefs verfügten damals über beste Beziehungen -, Leute zu schmieren und zum vierten oder fünften Mal zu heiraten. ‹Nur die Rasse zählt›, so lautete sein Wahlspruch. Er hatte ein halbes Dutzend Kinder mit seinen javanischen Dienstmädchen gezeugt, aber nicht eines davon erkannte er an und mahnte stets in düsteren Worten, dass die von Gott erschaffenen Rassen sich nicht zu einer einzigen Schweinerasse vermischen dürften.»
    Jacob erinnert sich an den Sohn aus seinem Traum. Die Segel einer chinesischen Dschunke blähen sich.
    «Die Mütter seiner legitimen Erben, so verlangte er, mussten ‹rein› sein - Blumen aus dem protestantischen Europa mit weißer Haut und rosigen Wangen -, denn in den Familienstammbäumen der Bräute Batavias würden Orang-Utans herumtollen. Leider waren seine bisherigen Ehefrauen alle innerhalb weniger Monate nach ihrer Ankunft in Batavia verschieden. Das Miasma hatte sie dahingerafft. Aber Theo war ein charmanter Kerl, und ein reicher charmanter Kerl noch dazu, und siehe da, die Kajüte zwischen uns war von der neuesten Frau Theo van Cleefs belegt. Meine ‹Tante› Gloria war vier Jahre jünger als ich und nur ein Drittel so alt wie der stolze Bräutigam ...»
    Unten öffnet ein Reisverkäufer sein Geschäft.
    «Muss man eine Schönheit in der ersten Blüte beschreiben? Nicht eines der bärtigen Nabobflittchen auf der Enkhuizen konnte sich mit ihr messen, und noch ehe wir die Bretagne umsegelt hatten, schenkten alle anständigen Herren - und nicht nur die - Tante Gloria mehr Aufmerksamkeit, als ihrem neuen Ehemann lieb war. Oft hörte ich durch die dünnen Wände meiner Kajüte, wie er ihr verbot, die Blicke von X zu erwidern oder über Ys fade Scherze zu lachen. ‹Ja, mein Gemahl›, antwortete sie sanft wie ein Reh, und dann ließ sie die ehelichen Pflichten über sich ergehen. Meine

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