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Die tausend Herbste des Jacob de Zoet

Die tausend Herbste des Jacob de Zoet

Titel: Die tausend Herbste des Jacob de Zoet Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Mitchell
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sich den Bart. «Zwei Wochen später sah ich zu, als die Enkhuizen auslief. Fünf Wochen später schiffte ich mich auf der Huis Marquette ein, einer wurmstichigen Brigg, deren Steuermann mit toten Geistern sprach und deren Kapitän sogar den Schiffshund verdächtigte, eine Meuterei anzuzetteln. Nun, Sie haben den Indischen Ozean selbst überquert, und so sage ich nur dies: endlos, unheilvoll, finster, gewaltig ... Nach siebenwöchiger Überfahrt ankerten wir dank Gottes Gnade und mit wenig Zutun seitens des Steuermanns und des Kapitäns vor Batavia. Während ich am stinkenden Kanal entlangging, wappnete ich mich für eine Tracht Prügel von Vater, ein Duell mit Theo und meine Enterbung. Ich sah nicht ein bekanntes Gesicht, und niemand erkannte mich wieder - zehn Jahre sind eine lange Zeit. Schließlich klopfte ich an die Tür meines alten Zuhauses, die mir viel kleiner schien als früher. Meine alte Kinderfrau, faltig geworden wie eine Walnuss, öffnete und stieß einen Schrei aus. Ich erinnere mich noch, dass Mutter mit einer Vase Orchideen aus der Küche herbeieilte. Im nächsten Augenblick lag die Vase in Scherben auf dem Boden, und Mutter war in sich zusammengesackt. Ich ging davon aus, dass Theo mich zur Persona non grata erklärt hatte ... aber dann sah ich, dass Mutter Trauer trug. Ich fragte sie, ob Vater gestorben sei. Sie antwortete: ‹Nein, du , Melchior, du bist ertrunken.› Dann schloss sie mich weinend in die Arme, und ich erfuhr, dass die Enkhuizen in stürmischer See kaum mehr als einen Kilometer vor der Sundastraße auf ein Riff gelaufen und mit Mann und Maus gesunken war.»
    «Das tut mir leid, Herr van Cleef», sagt Jacob.
    «Das glücklichste Schicksal hat Aagje genommen. Sie heiratete den Farmersjungen und besitzt heute dreitausend Stück Vieh. Immer, wenn ich am Kap bin, nehme ich mir vor, ihr einen Besuch abzustatten, aber ich tue es nie.»
    Ganz in der Nähe ertönt aufgeregtes Geschrei. Ein paar Zimmerleute, die auf einem der Nachbarhäuser arbeiten, haben die beiden Ausländer entdeckt. «Gaijin-sama!», ruft einer mit breitem Grinsen. Er hält den Zollstock hoch und bietet seine Dienste an, worauf seine Kollegen in brüllendes Gelächter ausbrechen. «Ich habe nicht alles verstanden», sagt van Cleef.
    «Er hat angeboten, die Länge Ihrer Männlichkeit zu messen.»
    «Aha. Sagen Sie dem Strolch, dass er dafür drei Zollstöcke benötigt!»
    Im Schlund der Bucht erblickt Jacob ein flatterndes rotweiß-blaues Rechteck.
    Nein , denkt der Kontorleiter. Das ist eine Fata Morgana ... oder eine chinesische Dschunke, oder ...
    «Was ist los, de Zoet? Sie machen ein Gesicht, als hätten Sie sich in die Hose geschissen.»
    «Ein ... ein Handelsschiff fährt in die Bucht ein ... oder eine Fregatte?»
    «Eine Fregatte? Wer schickt eine Fregatte? Unter welcher Flagge fährt sie?»
    «Unserer, Herr Faktor.» Jacob hält sich am Dach fest und dankt Gott für seine Weitsichtigkeit. «Es ist ein niederländisches Schiff.»

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    XXX

    Der Raum der Letzten Chrysantheme in der Residenz des Statthalters von Nagasaki

    Der zweite Tag des neunten Monats
     
    Fürstabt Enomoto aus dem Lehen Kyōga legt einen weißen Stein auf das Brett.
    Ein Haltepunkt , erkennt Statthalter Shiroyama, zwischen seiner Nordflanke ...
    Schlanke Ahornbäume werfen ihre Schatten über das Brett aus golden schimmerndem Kayaholz.
    ... und seinen Gruppen im Osten ... oder ist es ein Ablenkungsmanöver? Beides ...
    Shiroyama wiegte sich schon in dem Glauben, er würde seinen Gegner beherrschen, doch sein Gegner beherrscht ihn.
    Wo ist der verborgene Weg , überlegt er, mit dem ich das Spiel zu meinen Gunsten wenden kann?
    «Es lässt sich nicht bestreiten», bemerkt Enomoto, «dass wir in harten Zeiten leben.»
    Es ließe sich allerdings bestreiten , denkt Shiroyama, dass du in harten Zeiten lebst.
    «Ein unbedeutender Daimyō aus der Aso-Hochebene, der mich um Hilfe ersuchte ...»
    So viel , denkt der Statthalter, zu deiner mustergültigen Verschwiegenheit ...
    «... merkte an, dass das, was unsere Großväter Schulden nannten, heute ‹Kredit› heißt.»
    «Bedeutet das» - Shiroyama vergrößert mit einem schwarzen Stein seine Nord-Süd-Gruppe -, «man muss seine Schulden nicht mehr tilgen?»
    Mit einem höflichen Lächeln nimmt Enomoto den nächsten Stein aus der Rosenholzschale. «Leider bleibt die Tilgung eine lästige Verpflichtung, aber der Fall des Fürsten von Aso ist ein anschauliches Beispiel. Vor zwei Jahren lieh er

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