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Die tausend Herbste des Jacob de Zoet

Die tausend Herbste des Jacob de Zoet

Titel: Die tausend Herbste des Jacob de Zoet Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Mitchell
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sind unterbesetzt?»
    Doi beantwortet die Frage mit einer demütigen Verbeugung. Unter den Beratern wird beunruhigt getuschelt.
    Ein paar fehlende Soldaten können mir nichts anhaben , denkt der Statthalter. «Wie viele zu wenig?»
    «Die genaue Zahl», Hauptmann Doi schluckt, «beträgt siebenundsechzig, Eure Exzellenz.»
    Shiroyama atmet auf: Nicht einmal seinem giftspeienden Nebenbuhler Ōmatsu, mit dem er sich das Statthalteramt teilt, würde es gelingen, ihn wegen siebenundsechzig fehlender Soldaten glaubhaft der Pflichtvernachlässigung zu bezichtigen. Der Schwund ließe sich ganz leicht auf Krankheitsausfälle schieben. Aber ein Blick in die Gesichter der Versammelten verrät dem Statthalter, dass er etwas falsch verstanden hat ...
    ... und plötzlich dämmert ihm die entsetzliche Wahrheit.
    «Sie ... Sie meinen doch nicht ...», er beherrscht seine Stimme, «... siebenundsechzig insgesamt?»
    Der wettergegerbte Hauptmann bekommt vor Angst kein Wort heraus.
    Kammerherr Tomine herrscht ihn an: «Der Statthalter hat Sie etwas gefragt!»
    «Es -», Doi versagt die Stimme, und er muss sich sammeln, «es sind dreißig Soldaten in der Nordgarnison und siebenunddreißig in der Südgarnison. Das sind alle, Eure Exzellenz.»
    Jetzt mustern die Berater den Statthalter ...
    Siebenundsechzig Soldaten , er vergegenwärtigt sich die vernichtende Zahl, anstelle von eintausend.
    ... die Zyniker, die Ehrgeizlinge, seine entsetzten Mitstreiter, Ōmatsus Vertrauensleute.
    Manche von euch Blutsaugern haben es gewusst , denkt Shiroyama, aber ihr habt geschwiegen.
    Doi duckt sich noch immer wie ein Sträfling, der auf das Niedersausen des Richtschwertes wartet.
    Ōmatsu würde den Boten zum Sündenbock machen ... und auch Shiroyama ist versucht, auf ihn loszugehen. «Warten Sie draußen, Hauptmann. Danke, dass Sie ... Ihrer Pflicht so rasch und gewissenhaft nachgekommen sind.»
    Doi vergewissert sich mit einem Blick zu Tomine, dass er richtig gehört hat, und verlässt den Saal.
    Keiner der Berater wagt es, die ehrfurchtsvolle Stille als Erster zu durchbrechen.
    Schieb die Schuld auf den Fürsten von Hizen , denkt Shiroyama. Es sind schließlich seine Soldaten.
    Nein: Seine Feinde würden ihn dafür als Feigling und Drückeberger verspotten.
    Behaupte, die Küstengarnisonen seien schon seit Jahren unterbesetzt.
    Damit würde er indirekt zugeben, dass er von der Sache wusste, aber nichts unternommen hat.
    Mache geltend, dass kein japanischer Untertan deswegen verletzt wurde. Das Gebot des Ersten Shōguns, erlassen in der heiligen Stadt Nikko, ist nicht befolgt worden. Dieses Vergehen allein ist unverzeihlich. «Kammerherr Tomine», sagt Shiroyama, «Sie sind mit den geltenden Vorschriften bezüglich der Verteidigung des abgeschlossenen Reiches vertraut.»
    «Es ist meine Pflicht, diese zu kennen, Eure Exzellenz.»
    «Welches Handeln obliegt dem obersten Beamten, wenn Fremde unerlaubt seine Stadt betreten?»
    «Er hat jegliche Verhandlungsangebote abzulehnen, Eure Exzellenz, und muss die Fremden der Stadt verweisen. Sofern diese um Proviant ersuchen, darf es ihnen in geringer Menge zur Verfügung gestellt werden. Es darf jedoch keine Gegenleistung empfangen werden, damit die Fremden sich später nicht auf eine bestehende Handelsbeziehung berufen können.»
    «Und wenn die Fremden Angriffshandlungen vornehmen?»
    Alle Fächer im Saal der Sechzig Matten stehen still.
    «Der Statthalter oder Daimyō muss die Fremden festnehmen lassen, Eure Exzellenz, und sie so lange in Haft halten, bis er weitere Befehle aus Edo erhält.»
    Ein vollbewaffnetes Kriegsschiff, denkt Shiroyama, mit siebenundsechzig Mann festnehmen?
    Der Statthalter hat in diesem Saal schon Schmuggler, Räuber, Frauenschänder ...
    ... Mörder, Taschendiebe und einen heimlichen Christen von den Goto-Inseln verurteilt.
    Jetzt verurteilt das Schicksal ihn, und zwar mit der kräftigen, nasalen Stimme seines Kammerherrn.
    Der Shōgun wird mich wegen mutwilliger Vernachlässigung meiner Pflichten ins Gefängnis werfen.
    Seine Familie in Edo wird ihren Namen und die Samuraistellung verlieren.
    Kawasemi, meine heißgeliebte Kawasemi, wird sich wieder in Teehäusern verdingen müssen ...
    Er denkt an seinen Sohn, seinen wunderbaren Sohn, der sein Leben als Knecht eines Zuhälters fristen wird müssen.
    Es sei denn, ich entschuldige mich für mein Vergehen und stelle die Familienehre wieder her ...
    Er blickt zu seinen Beratern auf, doch niemand wagt es, einem zum Tode Verurteilten

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