Die tausend Herbste des Jacob de Zoet
es uns an Waffen fehlt. Zu sagen, wir setzen uns gegen die Eroberung Dejimas zur Wehr, ist schön und gut, aber womit? Meinen Küchenmessern? Den Skalpellen des Herrn Doktors? Was sind unsere Waffen?»
Jacob sieht den Koch an. «Niederländische Schläue.»
Con Twomey hebt die Hand zum Widerspruch.
«Verzeihen Sie. Niederländische und irische Schläue - und eine gute Vorbereitung. Also sorgen Sie dafür, Herr Twomey, dass die Feuerspritzen einsatzbereit sind. Herr Ouwehand, bitte erstellen Sie einen Dienstplan mit einstündigen Schichten für den Wachtturm -»
Auf der Haupttreppe sind eilige Schritte zu hören.
Dolmetscher Kobayashi betritt den Raum und starrt die Versammlung finster an.
Hinter ihm in der Tür steht ein korpulenter Inspektor.
«Statthalter Shiroyama schickt Inspektor», sagt Kobayashi, unsicher, an wen er das Wort richten soll, «wegen ernsthafte Angelegenheit ... geschehen in Bucht: Statthalter muss Angelegenheit besprechen, ohne Verzögerung. Statthalter schickt für Ausländer mit hoher Rang. Jetzt.» Der Dolmetscher schluckt. «Also Inspektor muss wissen, wer ist Ausländer mit hoher Rang?»
Sechs Niederländer und ein Ire sehen Jacob an.
Der Tee in der glatten, hellen Schale ist kühl und von sattem Grün. Die Dolmetscher Kobayashi und Yonekizu haben den amtierenden Faktor de Zoet an diesem Morgen zur Residenz des Statthalters begleitet und ihn unter der Aufsicht von zwei Beamten in der Vorhalle zurückgelassen. Nicht ahnend, dass der Niederländer ihre Sprache versteht, rätseln sie freimütig darüber, ob der Ausländer grüne Augen hat, weil seine Mutter in der Schwangerschaft zu viel Gemüse gegessen hat. Die würdevolle Atmosphäre, die Jacob von seinem letztjährigen Besuch mit Vorstenbosch in Erinnerung geblieben ist, geht in den Ereignissen des Vormittags unter: Soldaten rufen aus dem Kasernenflügel, Klingen werden auf Schleifsteinen geschärft, vorbeieilende Diener sprechen flüsternd über die drohenden Geschehnisse. Dolmetscher Yonekizu kommt zurück. «Statthalter ist bereit, Herr de Zoet.»
«Ich bin es auch, Herr Yonekizu. Gibt es neue Nachrichten?»
Der Dolmetscher schüttelt vielsagend den Kopf und führt de Zoet in den Saal der Sechzig Matten. Etwa dreißig Berater sitzen hufeisenförmig in drei Reihen um Statthalter Shiroyama herum, der auf einer Estrade thront. Jacob wird in die Mitte geführt. Kammerherr Kōda, Inspektor Suruga und Iwase Banri - die drei, die mit van Cleef und Fischer zum vermeintlich niederländischen Schiff geschickt wurden - knien nebeneinander an der Seite. Alle drei sehen blass und bekümmert aus.
Ein Wachsoldat meldet: «Dejima no Dazūto-sama.» Jacob verbeugt sich. Shiroyama sagt auf Japanisch: «Danke, dass Sie so rasch erschienen sind.»
Jacob blickt dem gestrengen Mann kurz in die klaren Augen und verbeugt sich ein weiteres Mal.
«Man hat mir berichtet», sagt der Statthalter, «dass Sie inzwischen ein wenig Japanisch verstehen.»
Mit einem Ja würde Jacob buchstäblich ausposaunen, dass er heimlich Japanisch gelernt hat, und das könnte ihn den taktischen Vorsprung kosten. Aber vorzugeben, ich würde ihn nicht verstehen , denkt Jacob, wäre hinterlistig. «Ja, ich habe ein wenig von der Muttersprache des Statthalters aufgeschnappt.»
Unter den Beratern regt sich erstauntes Murmeln, als sie den Ausländer ihre Sprache sprechen hören.
«Ebenfalls wurde mir berichtet», fährt der Statthalter fort, «dass Sie ein ehrlicher Mensch sind.»
Jacob empfängt das Kompliment mit einer unverbindlichen Verbeugung.
«Ich hatte in der vergangenen Handelszeit das Vergnügen», sagt eine Stimme, die Jacob einen eisigen Schauer über den Rücken jagt, «mit dem amtierenden Faktor Geschäfte zu machen ...»
Jacob will Enomoto nicht ansehen, aber sein Blick wird wie magisch von ihm angezogen.
«... und ich glaube, es ließe sich kein besserer Leiter für Dejima finden.»
Menschenräuber , Jacob schluckt, während er sich verbeugt, Mörder, Lügner, Wahnsinniger ...
Enomoto neigt sichtbar erheitert den Kopf.
«Die Meinung des Fürsten von Kyōga ist von großer Bedeutung», sagt Statthalter Shiroyama. «Und wir versprechen dem amtierenden Faktor de Zoet feierlich: Wir werden Ihre Landsleute aus den Händen Ihrer Feinde retten ...»
Dieses vorbehaltlose Hilfsversprechen übertrifft Jacobs kühnste Hoffnungen. «Ich danke Ihnen, Eure ...»
«... oder der Kammerherr, der Inspektor und der Dolmetscher werden bei dem Unternehmen sterben.»
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