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Die Teerose

Die Teerose

Titel: Die Teerose Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jennifer Donnelly
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erwarten, bei ihr zu sein, ihr gegenüberzusitzen, in ihre saphirblauen Augen zu blicken und sie später in die Arme zu nehmen, auch wenn er sie nicht mit ins Bett nehmen durfte.
    Er lehnte sich zurück, schloß die Augen und erinnerte sich an den Abend in seinem Haus, als er mit ihr schlafen wollte. Das ging ihm nicht mehr aus dem Kopf. Wenn er an ihre weichen Lippen, ihre nackte Haut und ihren herrlichen Körper dachte, bebte er vor Begierde. Allein wenn er sich vorstellte, wie sie ihn angesehen hatte, halb nackt und mit offenem Haar, wurde ihm schwindelig. Er begehrte sie, wie er noch nie eine Frau begehrt hatte. Aber er hatte sie zu sehr bedrängt, ihr angst gemacht. Was für ein Hornochse er doch war. Sie so gefühllos zu begrapschen, sie zu fragen, ob sie mit ihm schlafen wolle, bevor er ihr gesagt hatte, was er für sie empfand, bevor er ihr seine Liebe gestanden hatte. Sie war keine seiner Mätressen, keine weltläufige, erfahrene Frau, die sich auf eine Affäre einließ, sondern ein achtzehnjähriges Mädchen, unerfahren und unsicher. Bestimmt auch seiner nicht sicher.
    Daß auch sie ihn begehrt hatte, bedrückte ihn am meisten. Das spürte er an der Art, wie sie ihn küßte, sich an ihn schmiegte. Er hatte ihre Begierde entfacht und dann mit seiner Grobheit alles zerstört.
    Mein Gott! Mit wie vielen Frauen hatte er geschlafen, ohne sie zu lieben? Jetzt liebte er eine, und sie würde nicht mit ihm schlafen, nachdem er sich so benommen hatte. Wahrscheinlich nicht, bevor er sie heiratete. Und das würde noch eine Weile dauern, weil er sie erst seiner Familie vorstellen mußte. Weil er immer noch warten mußte, bis Will junior sich an den Gedanken gewöhnt hatte, daß er einer Frau aus der Unterklasse den Hof machte. Der Junge war übervorsichtig, befürchtete einen Skandal, befürchtete die Auswirkungen auf den U-Bahnvertrag …
    … den U-Bahnvertrag.
    Will lehnte sich aufrecht in seinem Sitz zurück.
    Der Vertrag gehörte jetzt ihm. Er hatte nicht nur Belmont bewiesen, daß er unrecht hatte, sondern auch seinem Sohn. Will juniors Einwände gegen Fiona waren absolut haltlos. Ihre Beziehung hatte keinen Skandal provoziert und weder den Bürgermeister noch potentielle Investoren abgehalten. Sobald er seinem Sohn den Vertrag überreichte, würde er das sicher einsehen, seinen Widerstand aufgeben und einwilligen, Fiona kennenzulernen. Es hatte fünfundvierzig Jahre gedauert, bis er jemanden fand, den er liebte. Wer wußte schon, wieviel Zeit ihm noch blieb auf der Welt? Er hatte die Ansprüche seiner Familie befriedigt und mit dem U-Bahnbau seinen Söhnen die Mittel für größeres Einkommen und Prestige bereitgestellt, jetzt war es an der Zeit, an seine eigenen Wünsche zu denken.
    Er klopfte an das Fenster, das ihn vom Kutscher trennte.
    »Ja, Sir? Was ist?« fragte Martin und drehte das Fenster herunter.
    »Ich muß noch einmal anhalten, bevor wir zu meinem Büro fahren«, sagte Will. Martin runzelte die Stirn. »Du kriegst deine zehn Dollar, Martin, keine Sorge! Bring mich zum Union Square!«
    »Wohin, Sir?«
    »Zum Union Square!«
    »Zu welcher Adresse, Sir?«
    »Zu Tiffany’s, Martin. Und mach schnell!«
     
    »Peter Hylton hält uns für ein Paar«, sagte Nick von der Leiter herunter zu Fiona. Er probierte verschiedene Farben an einer Wand der Teestube aus. »Ich hab heute seine Kolumne gelesen. Er hat geschrieben, wir seien Geschäftspartner, daß du planen würdest, eine Teestube zu eröffnen und ich eine Galerie, und daß wir bald auch ein Liebespaar wären. Ich hoffe, Will ist eifersüchtig. Hältst du das für möglich? Dann könnten wir uns deinetwegen duellieren, Fee! Pistolen im Morgengrauen. Wäre das nicht aufregend?«
    »Peter Hylton ist ein Esel und du auch«, erwiderte Fiona und hob einen silbernen Weinkühler aus einer Kiste. Ihre Ärmel waren hochgekrempelt und ihr Rock zusammengebunden. Die Füße taten ihr weh vom vielen Stehen, und sie hatte Schuhe und Strümpfe ausgezogen. Der Weinkühler war schwer und reich mit Blumen und Tieren verziert, als Henkel dienten zwei Bacchus-Köpfe. »Was macht denn der hier?« fragte sie Nick und stellte ihn auf den Boden. »Ich dachte, wir wollten ihn nicht kaufen.«
    »Doch, wir wollten ihn kaufen.«
    »Wir? Wohl eher du? Das soll eine Teestube werden, Nick. Ich hab keine Verwendung dafür.«
    »Aber stell dir vor, wie er auf der vergoldeten Anrichte steht, die wir gefunden haben. Auf Hochglanz poliert und im Sommer mit frischen Erdbeeren gefüllt.

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