Die Terroristen
geht, ist ihnen völlig egal. Darum habe ich ihn erschossen. Damit sie vielleicht Angst bekommen und begreifen, dass das Volk nicht so gleichgültig dahinvegetiert, wie sie glauben. Denen ist es doch scheißegal, ob die Menschen Hilfe brauchen, und sie pfeifen darauf, wenn man sich beklagt und Stunk macht, wenn einem nicht geholfen wird, aber ihr eigenes Leben, da scheißen sie jedenfalls nicht drauf. Aber ich …«
Das Telefon klingelte und unterbrach sie. Martin Beck bedauerte, dass er nicht Anweisung gegeben hatte, ungestört zu bleiben. Es kam sicher nicht häufig vor, dass Rebecka so gesprächig war. Als er sie damals gesehen hatte, war sie eher schüchtern und still gewesen.
Er nahm den Hörer ab. Die Vermittlung teilte mit, dass sie immer noch nach Advokat Braxen suchten, bis jetzt ohne positives Ergebnis.
Martin Beck legte auf, und im gleichen Augenblick klopfte es an der Tür, und Hedobald Braxen trat ins Zimmer.
»Guten Tag«, begrüßte er Martin Beck flüchtig und ging direkt auf Rebecka zu.
»Da bist du ja, Roberta. Ich habe im Radio gehört, dass der Premierminister erschossen worden ist, und aus der Beschreibung des so genannten Täters entnahm ich, wer das sein konnte, und habe mich beeilt, herzukommen.«
»Guten Tag«, sagte Rebecka.
»Wir haben schon nach Ihnen gesucht«, erklärte Martin Beck.
»Ich war bei einem Klienten. Ein hochinteressanter Mann übrigens. Unerhört belesen und zu Hause in verschiedenen faszinierenden Fachgebieten. Sein Vater war übrigens seinerzeit ein hervorragender Experte für flämische Webkunst. Dort habe ich die Nachrichten im Radio gehört.«
Braxen trug einen langen grüngelb gesprenkelten Mantel, der straff über seinem imposanten Bauch saß. Jetzt schälte er sich aus dem guten Stück und warf es auf einen Stuhl. Er legte seine Aktentasche auf den Schreibtisch und bemerkte den Revolver.
»Mmm. Nicht schlecht. Mit so einem Ding etwas zu treffen ist nicht leicht. Ich erinnere mich, ich glaube, es war kurz vor Kriegsausbruch, da ging es um eine ähnliche Waffe in einem Fall zwischen Zwillingsbrüdern. Seid ihr hier fertig, dann können Roberta und ich.
»Rebecka«, verbesserte Martin Beck.
»Natürlich. Kann ich mich ein wenig mit Rebecka unterhalten?«
Braket wühlte in seiner Aktentasche und zog ein altes Zigarrenetui aus Messing hervor. Er öffnete es und nahm einen zerkauten Zigarrenstummel heraus.
Martin Beck sah ein, dass er Rebecka zuliebe die beiden am besten eine Weile allein ließ. Die zahlreichen Gedankenverbindungen und Abweichungen vom Thema würden weniger werden, wenn Braket nur Rebecka als Zuhörerin hatte. Außerdem musste er selbst verschiedene Formulare ausfüllen und Berichte und Protokolle mit Angaben über Rebecka aufsetzen, und einen großen Teil davon konnte er zunächst ohne ihre Mitwirkung schaffen.
Er stand von seinem Stuhl hinter dem Schreibtisch auf und sagte:
»Bitte sehr. Ich komme nachher wieder.«
Während er auf die Tür zuging, hörte er, wie Braket begann:
»Ja, kleine Rebecka, das ist nun allerdings eine böse Geschichte, aber wir werden es schon hinbiegen. Kopf hoch. Ich erinnere mich an ein Mädchen in deinem Alter, in Kristianstad, Frühjahr 1946, übrigens im gleichen Jahr, als …«
Martin Beck schloss die Tür hinter sich und seufzte.
25
M artin Beck hatte die Situation richtig beurteilt, als er dem Rikspolis-Chef erklärte, dass er nicht mit einem erneuten Attentat der ULAG rechne. Zu den Prinzipien der ULAG gehörte es, dass man blitzschnell zuschlug und dann möglichst spurlos verschwand. Eine missglückte Aktion sofort zu wiederholen, um ein besseres Resultat zu erzielen, wurde direkt als verwerflich angesehen.
In der Wohnung in Kapellgatan hatte Levallois bereits damit begonnen, seine Ausrüstung zusammenzupacken. Er glaubte, gute Fluchtchancen zu haben, wenn er nur schnell genug war. Und war er erst einmal in Dänemark, konnte er sich vergleichsweise sicher fühlen. Der Franzose überlegte nicht lange, was geschehen war. Das war nicht seine Art.
Für Reinhard Heydt war die Situation eine andere. Einerseits war seine Personenbeschreibung bekannt, andererseits wurde bereits mehr oder weniger nach ihm gefahndet.
In der Wohnung war es warm, und er lag auf dem Rücken auf dem Bett, nur mit Unterhemd und kurzer weißer Unterhose bekleidet. Er hatte eben geduscht.
Noch hatte er nicht ernsthaft darüber nachgedacht, wann und wie er das »Heim des Volkes« verlassen wollte. Wahrscheinlich musste er sich
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