Die Teufelshure
Cynthia ging selten aus. Er tröstete sich damit, dass seine Frau vielleicht zu fest schlief und das Telefon nicht hörte.
Resignierend legte er auf.
»Es gibt da einen Antiterror-Notruf …« Marek sah ihn fragend an.
Dough riss ihm den Zettel aus der Hand und wählte die Nummer. Der Kontakt hatte keine Warteschleife. Die Frau am anderen Ende der Leitung wollte wissen, ob er verdächtige Anzeichen für einen Anschlag zu melden habe.
»Hören Sie«, zischte Dough ins Telefon. »Es müssen nicht immer Islamisten sein, wenn es um Leben und Tod geht. Meine Freundin wurde von Unbekannten entführt. Ich muss dringend mit Detective Murray sprechen, er arbeitet für Scotland Yard. Er kennt mich, verstehen Sie?«
Es klickte in der Leitung, und einen Augenblick lang glaubte Dough, die Frau habe aufgelegt. Dann hörte er eine andere Stimme. Ein Mann stellte sich als Murrays Mitarbeiter vor. Er hatte Bereitschaftsdienst und klang dabei ziemlich verschlafen.
Dough befürchtete schon, dass seine vorherige Story längst unter Murrays Kollegen bekannt war und man ihn für verrückt erklären würde. Aber zu seinem großen Erstaunen trat das Gegenteil ein.
»Bleiben Sie unbedingt am Apparat«, sagte der Polizist. »Detective Murray hat mir eine Mobiltelefonnummer hinterlassen, die ich im Notfall anrufen kann. Ich verbinde sie.« Es knackte noch einmal, und als Dough die Stimme des Detectives hörte, die ihm zwar bekannt, aber keinesfalls sympathisch erschien, fühlte er fast so etwas wie Erleichterung.
So kurz wie möglich berichtete er Murray, was geschehen war. Dabei beschränkte er sich auf ihre Gefangennahme durch CSS und die anschließende Flucht mit den merkwürdigen Geschehnissen in Glencoe.
Als er geendet hatte, konnte er an Mareks Gesicht erkennen, dass der junge Pole alles mit angehört hatte und ihn anschaute, als ob er soeben einen phantasievollen Abenteuerroman zum Besten gegeben hätte.
Einen Moment herrschte Ruhe am anderen Ende der Leitung. Dough rechnete schon damit, dass Murray ihn in der gleichen unverschämten Art zurechtweisen würde, wie er es gemacht hatte, als alle Spuren von Leith im Sande verlaufen waren.
»Dough«, sagte er schließlich, »ich habe auf ihren Anruf gewartet. Ihre Frau hat sie als vermisst gemeldet und sich an mich gewandt, nachdem sie meine Kollegin Jenna MacKay nicht erreichen konnte. Aber was noch schlimmer ist: Jenna ist seit vorgestern spurlos verschwunden und mit ihr alle Unterlagen, die Ihren Fall in Leith beschreiben. Wir haben keine Vorstellung, wo sie sein könnte. Es gibt weder eine Lösegeldforderung noch sonst irgendein Lebenszeichen. Also, bleiben Sie, wo Sie sind! Ich schicke Ihnen umgehend einen Streifenwagen aus Fort William und zwei weitere nach Glencoe, zu der Adresse, die sie mir genannt haben. Sobald ich mit meinem Team dort eingetroffen bin, reden wir.«
37
Highlands 2009 – »Venusfalle«
Der Helikopter wurde von zwei schwarzgekleideten Piloten gesteuert. Neben Lilian saß Bruder Mercurius und rührte sich nicht. Direkt nach dem Start schien er in eine Kontemplation verfallen zu sein. Völlig regungslos verharrte er mit nach vorne geneigtem Kopf, die Arme auf Höhe der Brust überkreuzt, das Gesicht verborgen unter seiner großen Kapuze.
Lilian versuchte ihn zu ignorieren, während sie bei halbwegs klarem Himmel nach Nordwesten flogen. Unten am Boden erkannte sie Lismore Island. Loch Linnhe, das die Inselgruppe umgab, schimmerte in der aufsteigenden Morgenröte in zartem Rosa. Wenn sie sich konzentrierte, konnte sie in der Ferne sogar Moidart erahnen, wo John sie vielleicht gerade vermisste.
Sie schloss die Augen und versuchte intensiv an ihn zu denken. Vielleicht konnte er ihre Gedanken spüren – was wahrscheinlich nicht viel nützen würde, weil er sie längst abgeschrieben hatte und nicht ahnte, dass sie gerade mit seinem Erzfeind einen Ausflug ins Nirgendwo unternahm.
Immer wieder ging ihr Mercurius’ Aussage durch den Kopf, dass er einen Hinweis aus Mugan Manor erhalten hatte. Vermutlich waren sie tatsächlich verraten worden, aber dass es John gewesen sein könnte, glaubte sie nicht. Als ihr Begleiter unvermittelt aufsah und sie mit seinem raubtierähnlichen Gebiss angrinste, wich sie seinem prüfenden Blick aus.
»Ich kann deine Gedanken lesen«, konstatierte er mit einem überheblichen Grinsen. »In meiner Gegenwart hat es keinen Sinn, geheime Pläne für eine Flucht zu schmieden. In unseren Kreisen verhält es sich wie mit einem
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