Die Teufelssonate
nur nicht mehr an die Umstände erinnern. Er war nicht sehr beeindruckt gewesen. War das derselbe Pianist, den er seinerzeit gehört hatte?
Das konnte fast nicht sein.
Valdin eröffnete mit den sechs Grandes Etudes de Paganini . Diese basierten auf dessen schaurig-schwierigen Kompositionen für Violine. Auf dem Klavier waren sie noch vertrackter, das wußte Notovich nur allzu gut. Manche Akkorde lagen so weit auseinander, daß eine normale Menschenhand sie nicht zu umfassen vermochte. Bei diesen unnatürlichen Griffen mußte er immer seine ganze Technik anwenden, um seine Finger an die richtige Stelle zu bekommen. Und als ob das noch nicht genug wäre, barsten die Stücke von Trillern in der linken Hand, überkreuzten Armen, Arpeggien und Tonleitern, die rasendschnell in Oktaven gespielt werden mußten.
Doch diese technischen Grenzen schien es für Valdin nicht zu geben. Er spielte manche Stücke in einem Tempo, das Notovich Magenkrämpfe verursachte. Und trotzdem klang die Musik immer elegant und frisch. Unter Valdins Händen bekam die maßlos komplizierte Anhäufung von Noten die selbstverständliche Klarheit eines Kinderliedes. Andere Stücke spielte er dagegen quälend langsam, aber mit soviel Kraft und Überzeugung, daß es war, als höre man zum ersten Mal, wie der Komponist es gemeint hatte. Valdin stand über dem Stoff, man glaubte, Liszt selbst spielen zu hören.
Notovich wollte gehen, aber er war wie festgesaugt an seinem Stuhl, als ob eine dunkle Macht ihn martern wollte, ihn zwingen wollte, dieser Musik zu lauschen … seiner Musik. Er achtete genau darauf, mit welcher Leichtigkeit Valdin Hürden nahm, mit denen er selbst jahrelang gerungen hatte. Wo bei ihm nur Gestümper zu hören gewesen war, vernahm er jetzt Musik. Nun war ihm klar, warum Valdin so darauf beharrt hatte, daß er hierher kommen sollte; er wollte ihn erniedrigen, bis ins Tiefste seiner Seele. Es fiel ihm jetzt auch auf, daß Valdin nicht ausschließlich bekannte Höhepunkte aus Liszts Œuvre spielte wie andere Pianisten. Er arbeitete die Kompositionen systematisch ab, wie ein Hund, der sein Revier mit Urin markiert. Es war ihm offensichtlich egal, was das Publikum davon hielt; das einzige, was ihn antrieb, war seine Sucht nach Perfektion und Schönheit.
Als Valdin die Etüden beendet hatte, brach überwältigender Applaus und Jubel aus. Es schien ihn kaum zu berühren. Mit dem gequälten Blick einer geplagten Seele schaute er in den Saal. Alles Pose, natürlich. Zwei Frauen liefen zum Rand des Podiums und warfen ihm Blumen zu. Eine andere schleuderte den Schlüssel ihres Hotelzimmers vor seine Füße. Valdin schob die Blumen mit einer gelangweilten Geste zur Seite, steckte aber den Schlüssel mit einem Grinsen in seine Innentasche. In den vorderen Reihen wurde gekreischt.
In einem Reflex aufsteigender Übelkeit wollte Notovich sich erheben. Er bekam hier keine Luft, es war, als ob die Dunkelheit ihn erstickte. Er wankte zum Ausgang. Doch als er die Türklinke herunterdrückte, hörte er Valdins Stimme. Auf Englisch, mit einem französischen Akzent, wandte er sich ans Publikum.
» Ladies and gentlemen , heute abend weilt ein legendärer Maestro in diesem Saal. Mein großes Vorbild … Maestro Mikhael Notovich!«
Notovich fühlte, daß nun alle Augen auf ihn gerichtet waren, auch wenn ihn wahrscheinlich im Dunkeln niemand richtig sehen konnte. Zögernder Applaus ertönte. Jemand wollte Notovich wieder zu seinem Platz führen, aber er blieb stehen und nickte Valdin höflich zu. Der war noch nicht fertig.
»Ich bin einer der vielen Bewunderer, die sich sehnlichst wünschen, daß Maestro Notovich wieder auftritt. Vielleicht sitzen noch mehr Fans im Saal?«
Wieder Applaus.
»Genau! Darum! Wir müssen ihn überreden! Ich habe lange darüber nachgedacht: Wie kriegen wir Notovich wieder auf die Bühne? Wie sorgen wir dafür, daß sein monumentales Talent nicht verloren geht? Und mir ist etwas eingefallen. Darf ich Sie deshalb um Aufmerksamkeit für einen besonderen Vorschlag bitten?«
Notovich konnte nicht mehr stehen. Hatte er heute überhaupt etwas gegessen? Er wußte es nicht mehr.
»Ich, Valdin, fordere Maestro Notovich hiermit zu einem Klavierduell auf. Ja, Sie haben richtig gehört: einem Klavierduell. Ort und Zeit darf er selbst bestimmen. Was halten Sie davon, Maestro?«
Der Saal tobte. Valdin schaute Notovich an und hob die Arme, als wollte er sagen: Du kannst diese Leute nicht enttäuschen. Nun wurde Notovich klar, warum
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