Die Teufelssonate
er diese Einladungen bekommen hatte. Er war darauf hereingefallen, und man hatte ihn öffentlich zum Gespött gemacht. Ein Klavierduell. Ein brillanter Trick. Es spielte nicht einmal eine Rolle, ob er die Herausforderung annahm oder nicht. Es war in jedem Fall perfekte PR für Valdin. Notovich beantwortete die fragenden Blicke aus dem Publikum nicht und machte eine Geste, die so vage wie möglich war – keine Ablehnung, keine Zusage. Er setzte sich und wartete ruhig, daß Valdin mit seinem Konzert fortfuhr. Der mahnte das Publikum zur Stille.
»Der Maestro denkt darüber nach. Und wir informieren Sie über seine Antwort.«
Natürlich. Es würde alles mächtig aufgebauscht werden von Valdins Medienmaschine. Dieses kaltblütige Reptil widmete das nächste Werk auch noch ihm.
Notovich hörte nur halb zu und schlüpfte mitten im Auftritt hinaus. Als er fast draußen war, kam ein Lakai hinter ihm hergerannt.
»Die gnädige Frau bat mich, Ihnen das zu geben.«
In der Konsternation hatte er die Frau im Abendkleid völlig vergessen. Schnell faltete er den Zettel auf, und sein Herz setzte einen Schlag aus, als er die Nachricht las.
13
A m nächsten Morgen hing ein Post-it von Linda am Kühlschrank. Sie habe eingekauft und einen neuen Termin bei Nicole für ihn vereinbart. HINGEHEN !!! stand halbfröhlich darunter. Aber dazu war er heute nicht in der Lage. Er wollte erst mit Senna, oder Vivien, reden, dann würde sich zeigen, ob die ganze Misere der letzten Zeit auf irgend etwas beruhte.
Wenn Senna noch lebte, würde er fassungslos oder gar wütend sein. Möglicherweise würde er eine öffentliche Erklärung von ihr verlangen. Aber vor allem wäre eine enorme Last von ihm genommen. Später würde er vielleicht darüber lachen, wie tragikomisch er sich in seinem Elend gewälzt hatte. Ein kleiner Mann mit kleinen Ängsten, des Virtuosen Notovich nicht würdig.
Das war überhaupt das Schmerzlichste an Valdins Auftritt: Dieser hatte ihm einen Spiegel vorgehalten. Hatte ihm gezeigt, was für ein Künstler er selbst gewesen war. Vielleicht noch immer war. Sein müßte. Nicht, daß er jemals wieder auftreten würde; dafür war es zu spät. Er würde das Publikum wahrscheinlich doch nicht mehr für sich gewinnen können. Selbst wenn Senna noch lebte, würde sein Ruf befleckt bleiben. Einmal verurteilt, immer verurteilt. In den Augen der Leute war er ein exzentrischer Idiot, netter Gesprächsstoff für Geburtstage, aber mehr auch nicht. Sein Platz war von einem neuen Talent eingenommen worden. Einem Mann, der selbstsicher genug war, ihn auf geschmacklose Weise herauszufordern.
Valdins Marketingmaschine lief; am nächsten Tag stand es in allen Zeitungen. Bröll war der erste, der anrief.
»Ein Klavierduell, Noto? Was ist das?«
Der stillschweigende Verweis auf Liszt und Thalberg war eine schlaue Idee, fand Notovich. Liszt galt heutzutage als größter Pianist aller Zeiten, doch zu seinen Lebzeiten gab es einen Rivalen, der ebenfalls Anspruch auf diesen Titel erhob: Sigismund Thalberg. Während Liszt mit seiner Geliebten Marie d'Agoult durch die Schweiz und Italien streifte, eroberte Thalberg Paris. Die Kritiker hatten Liszt schnell vergessen und riefen den Neuling zum König des Konzertpodiums aus. Liszt fühlte sich gezwungen, aus seiner Isolation zurückzukehren. Er ließ sich wieder auf die Bühne locken und ging die Konfrontation mit Thalberg ein. Die beiden Virtuosen spielten eine Reihe von historischen Klavierduellen in den Pariser Salons. Es war das »Medienereignis« des neunzehnten Jahrhunderts.
Am anderen Ende der Leitung war es einen Moment still.
»Valdin inszeniert sich also nicht nur als dein Erbe«, flüsterte Bröll, »sondern auch als der des großen Liszt.«
»Genau.«
»Und was wirst du dagegen tun?«
»Bröll, du glaubst doch nicht, daß ich das ernsthaft erwäge?«
»Natürlich nicht, aber …«
»Es ist mir so was von egal, was die Leute von mir denken.«
»Früher wärst du aus der Haut gefahren.«
»Früher vielleicht.«
Verärgert legte er auf und ging unter die Dusche, um es von sich abzuspülen. Er wollte gerade den Wasserhahn aufdrehen, als ihm noch etwas klar wurde. Die Etüden von Paganini, die Valdin gestern abend gespielt hatte, waren auch kein Zufall. Es war eine überdeutliche Botschaft gewesen. Aber wie konnte Valdin das wissen? Das war unmöglich.
Er ging zum Schrank und holte unter dem Kleiderberg das T-Shirt hervor, das er aus Paris mitgebracht hatte. Die Blutflecke waren
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