Die Teufelssonate
noch drauf, doch das Parfüm war verflogen. Er drückte den Stoff an seine Nase und entsann sich, wie sie manchmal tagelang beieinandergelegen hatten. Auf dem Sofa. Im Bett. Die Erinnerung tat noch immer weh, mehr als er es je für möglich gehalten hätte. Er spürte Sennas Kopf wieder in seinem Schoß, während sie aus einem Buch vorlas.
Sie konnte nicht genug bekommen von den Passagen über die Wiederauferstehung Franz Liszts. Die künstlerische Wiedergeburt, die er den Paganini-Etüden zu verdanken hatte. Paganini war der größte Virtuose seiner Zeit. Sein Geigenspiel war so beängstigend gut, daß die Leute glaubten, er habe einen Pakt mit dem Teufel geschlossen. Es ging das Gerücht, daß er die vierte Saite seiner Geige aus den Därmen seiner ermordeten Geliebten gemacht habe.
Notovich grinste, als er das hörte.
»Das würdest du doch nie mit mir tun, oder?« fragte Senna.
»Mit deinen Därmen nicht, aber aus deinem linken Knöchel kann ich vielleicht einen schönen Hammer für einen Konzertflügel machen.«
»›Paganini sah aus wie ein Teufel‹« las Senna weiter. »›Er hatte ein langes, hohlwangiges Gesicht mit einer scharfen Nase und glühenden Adleraugen. Seine Haut war leichenblaß, seine Zähne waren pechschwarz. Das kam vom Quecksilber, der einzigen Medizin gegen Syphilis, die es damals gab. Die Krankheit verzehrte seinen ganzen Körper; er konnte vor Schmerzen kaum noch laufen. Er trug einen schwarzen, knöchellangen Mantel, und das schwarze Haar fiel über seinen Rücken. Wenn er die Bühne betrat, erschrak das Publikum zu Tode. Er starrte minutenlang in den Saal, ohne ein Wort zu sagen. Wenn er endlich zu spielen begann, zog ein kalter Schauder durch den Saal.‹«
Ein guter Trick, fand Notovich.
»›Eines Abends saß auch der junge Liszt im Publikum.‹ Das war 1835. Es ging ihm nicht gut. Seine Zeit als Wunderkind war vorbei, und er wußte nicht, was er mit seinem Leben anfangen sollte. Er lag tagelang im Bett und verließ nie das Haus. Er spielte fast nie mehr Klavier und wartete darauf, aus seiner Lethargie geholt zu werden. Kommt dir das bekannt vor?«
»Hm.«
»›Paganinis Spiel war eine Offenbarung für den jungen Pianisten. Paganini schrieb seine eigene Musik, weil er die von anderen nicht herausfordernd genug fand. Seine Kompositionen strotzten vor technischer Erfindungsgabe und schwindelerregenden Neuerungen. Wenn während des Vortrags eine Saite riß, spielte er unbeeindruckt auf drei Saiten weiter. Ohne eine Note auszulassen. Riß noch eine Saite, spielte er auf zwei Saiten oder gar auf einer. Der Effekt von Paganinis Spiel war so verblüffend, daß Liszt ausrief: ›Was für ein Künstler! Was für Leiden und Qualen in diesen vier Saiten!‹ Plötzlich sah er seine eigene Mission und seine Zukunft klar vor Augen: Er würde der Paganini des Klaviers werden. Das junge Genie ging ans Werk. Paganini behauptete, nie zu üben; deshalb kursierten allerlei Gerüchte über die dunklen Kräfte, die in seinem Spiel zu hören waren. Er hatte sein ganzes Image um die Geschichte mit dem Teufel aufgebaut, um das Publikum zu seinen Auftritten zu locken. Aber Liszt verstand, daß solche Meisterschaft nur Menschen vorbehalten war, die um ein Vielfaches härter arbeiteten als andere Musiker. Er begann, fieberhaft zu üben und zu komponieren.‹«
»Und was ist die Moral von der Geschichte?«
»Was Paganini für Liszt getan hat, kann Liszt für dich tun, Mischa.«
»Wie ist es mit Paganini eigentlich ausgegangen?« fragte Notovich, der es längst wußte.
»Weniger gut. Er schien an seinem eigenen Mythos zugrunde zu gehen. Er sagte, daß ihm die enorme Energie, die er bei seinen Auftritten hervorrief, die Kräfte raube. Als er starb, kehrte sich die Geschichte über den Teufel gegen ihn. Kein einziger Geistlicher wollte ihm die letzten Sakramente erteilen, weil alle davon überzeugt waren, daß er besessen sei. Seine Leiche moderte monatelang in einem Keller vor sich hin, bevor es jemand wagte, sie zu begraben.«
»Sehr appetitlich. Und das ist der Weg, den du für mich vorgezeichnet hast?«
»Mit großen Künstlern ist es wie mit großen Lieben: Es kann kein gutes Ende haben.«
Damals klang sie so naiv, aber im nachhinein hatte sie es vielleicht doch richtig gesehen. Mit großer Kunst ist es wie mit einer großen Liebe: Sie verzehrt die Menschen.
Notovich schloß sich drei, vier Monate ein, um zu üben. Er entdeckte, daß Liszt seine Geheimnisse nie ganz preisgab und daß jede
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