Die Therapie: Psychothriller (German Edition)
Standpunkt aus entfernt lag. Aber ich fragte Charlotte, wo wir hier seien. Und sie sagte: ›Wir sind bei mir zu Hause. Ich habe dich zu meinem Elternhaus gebracht.‹ Dann fragte ich sie, warum wir hier wären. Und sie sagte: ›Das weißt du doch. Hier wohne ich. Aber nicht allein. Hier wohnt auch das Böse.‹«
»Die Krankheit?«
»Ja. Offensichtlich wollte sie mir zu verstehen geben, die Ursache ihrer mysteriösen Krankheit sei bei ihr zu Hause zu finden. Und dass sie deshalb dieses Schloss verlassen hatte. Nicht nur, um die Ursache zu finden, sondern um zu fliehen.«
Josys Krankheit hat ihre Ursache in Schwanenwerder gehabt?
»Plötzlich zog Charlotte heftig an meiner Hand und wollte den Weg zurücklaufen. Erst wollte ich nicht sofort mit ihr kommen. Wollte abwarten und sehen, wer aus der Tür getreten war und durch den Garten auf die wartende Menge zuschritt. Die Person war noch zu weit weg, und ich konnte nicht erkennen, ob sie ein Mann oder eine Frau war. Doch etwas an der Art, wie sie sich bewegte, kam mir bekannt vor. Und dann sagte Charlotte etwas zu mir, das mich davon überzeugte, ihr sofort zu folgen.«
»Was sagte sie?«
»›Besser wir gehen. Das Böse von vorhin aus dem Zimmer. Es hat uns wieder eingeholt. Und es kommt direkt auf uns zu.‹«
20. Kapitel
D ürfte ich Ihr Bad aufsuchen?«
Anna war unvermittelt aufgestanden und hatte augenscheinlich den Entschluss gefasst, ihre Geschichte an dieser Stelle zu unterbrechen.
»Gerne.« Viktor fiel nicht zum ersten Mal ihre gewählte Ausdrucksweise auf.
Es war fast so, als ob sie damit einen Gegensatz zu ihren schrecklichen Erlebnissen schaffen wollte. Er versuchte gleichfalls aufzustehen, fühlte aber ein bleiernes Gewicht auf seinen Schultern, das ihn wieder in den Sessel drückte.
»Das Badezimmer ist …«
»… oben neben dem Schlafzimmer, ich weiß.«
Sie sagte es beim Hinausgehen und sah deshalb nicht, wie Viktor ihr ungläubig hinterherstarrte.
Woher?
Er nahm jetzt doch alle Kraft zusammen und stand langsam von seinem Schreibtischstuhl auf, um ihr zu folgen. Als er bereits an der Zimmertür war, fiel sein Blick auf den schwarzen Cashmere-Mantel, den sie sorgsam über einen Stuhl neben der Couch gelegt hatte. Er war noch feucht von dem anhaltenden Regen, und unter dem Stuhl hatte sich eine kleine Pfütze auf dem Parkett gebildet. Viktor hob ihn an, um ihn an der Garderobe im Flur aufzuhängen. Er war schwer. Zu schwer, als dass es allein von der Nässe kommen konnte, die nur den äußeren Stoff durchdrungen, das innere Seidenfutter jedoch verschont hatte.
Viktor hörte, wie im ersten Stock eine Tür verriegelt wurde. Anna hatte das Bad erreicht.
Er schüttelte den Mantel, und etwas klirrte in der rechten Manteltasche. Ohne lange zu überlegen, gab er seinem ersten Impuls nach und griff hinein. Sie war erstaunlich tief. Viktor wollte seine Hand schon zurückziehen, als seine Fingerspitzen erst ein Taschentuch und dann eine mittelgroße Lederbrieftasche berührten. Mit einer schnellen Bewegung zog er sie heraus. Sie war schwer und stammte aus einer Männerkollektion von Aigner. Sie passte definitiv nicht zu Annas geschmackvoller, farblich aufeinander abgestimmter, femininer Garderobe.
Wer ist sie?
Oben ging die Spülung. Das Badezimmer befand sich zu einem Teil direkt über dem Wohnzimmer, und Viktor konnte hören, wie die hochhackigen Schuhe Annas auf dem Marmorfußboden klapperten. Wahrscheinlich ging sie gerade zum Waschbecken, um sich frisch zu machen. Wie zur Bestätigung hörte Viktor, dass der Wasserhahn aufgedreht wurde und das Wasser durch die alten Kupferrohre nach unten abfloss.
Viktor musste sich beeilen. Er klappte das Portemonnaie in der Mitte auseinander und starrte auf das leere Ausweisfach. Für einen kurzen Moment setzte sein Puls aus. Er hatte gehofft, endlich den Schlüssel zu Annas Identität in Händen zu halten. Jetzt sah er lediglich leere Kreditkartenfächer und selbst Geld war nicht vorhanden. Jedenfalls keine Scheine.
Plötzlich wurde Viktor unruhig, und seine Hände begannen leicht, aber unkontrolliert zu zittern. So wie vor wenigen Monaten, als sein Blutalkoholpegel absank und sein Nervensystem ihn um Nachschub anbettelte. Doch in diesem Moment war es nicht der Mangel an Alkohol, der ihn zittern ließ. Sondern die Stille. Das Wasser oben lief nicht mehr.
Viktor klappte das Portemonnaie zusammen und wollte es schnell wieder in die Manteltasche stecken, als das Telefon klingelte. Vor Schreck zuckte
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