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Die Tibeterin

Die Tibeterin

Titel: Die Tibeterin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Federica de Cesco
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gebraucht werde.«
    »Eines Tages wirst du dieses Leben satt haben.«
    »Es ist schon soweit. Die chinesischen Lautsprecher töten mir die Nerven. Jeden Morgen das Geplärr, pünktlich zwei Stunden vor Sonnenaufgang: auf zum Frühturnen, in Beijin ist schönes Wetter!
    Und das verfluchte Gehupe! Sie können keine Kurve nehmen, ohne der Welt zu verkünden: Ich fahre ein Auto! Ich habe die Schnauze voll. Aber im Augenblick habe ich noch zu tun. Wenn ich damit fertig bin und mir die Knochen schmerzen, wer weiß?«
    »Viel zu verlieren hast du ja nicht«, sagte ich, bitter auflachend.
    »Höchstens meine Geduld. Zur Jahrtausendwende werden mehr als hunderttausend Chinesen in Lhasa angesiedelt sein. Ich hege eine gewisse Abneigung dagegen. Ein Glück, daß ich nicht ständig daran denke. Man spricht auch davon, daß die Garnisonsstadt Bayi, die erst seit zehn Jahren besteht, Lhasa als Hauptstadt der »autonomen Region Tibet« ablösen soll. Bayi liegt genau auf der Einfallachse zu den zentralasiatischen Nachbarn Pakistan, Afghanistan und Tadschikistan. Ein strategisch wichtiger Ort also. Das Problem liegt in Tibet, bei unserer stillschweigenden Abfindung mit der chinesischen Besatzung. Ich sage »Abfindung«, nicht
    »Zustimmung«.«
    Der Vollmond funkelte hinter den Gipfeln wie eine Schale aus Aquamarin. Die Spiralwolken der Sterne wehten über den Himmel.
    Ich fühlte die Zeit dahinströmen, beinahe wie einen Fluß, einen Strom aus etwas noch feinerem als die Luft, wie ein nicht fühlbares, nicht aufzuhaltendes Element. Für gewöhnlich mißtraute ich überhitzten Gemütszuständen. Aber später, im Schlafsack, da spürte ich unsere Seelen, die von einem zum anderen gingen, von ihm zu mir, von mir zu ihm. Ich wußte, daß sie unmerklich, allmählich und in dämmerhaften Übergängen den Weg zueinander gefunden hatten.
    Das Gesicht an seine harte Schulter gepreßt, sagte ich Atan, daß ich mir nicht vorstellen könne, jemals wieder von ihm getrennt zu sein.
    Ich sagte es, nachdem ich aus dem Taumel der Sinne erwacht war, 418
    dessen ich mich nie für fähig gehalten hätte. Er hatte mich verhext, und die verschiedenen Empfindungen lagen miteinander im Streit.
    Dieser verdammte Kerl war der größte Zyniker, der mir je begegnet war, und trug gleichwohl auf seiner Stirn ein Licht. Und mit jedem Augenblick wurde er mir mehr und mehr etwas Besonderes. An der Oberfläche meiner Haut lagen alle Nerven bloß, mit Selbstverleugnung sollte mir keiner kommen. Und so, seine Hände in meinen Haaren, das elastische Gewicht seines Körpers auf mir, riß ich ihn plötzlich fester an mich und flüsterte dich an seinem Mund die Worte, die ich nie hätte sagen sollen. Etwas hatte mich dazu gebracht, sie auszusprechen – etwas, das stärker war als ich.
    »Vergiß es«, flüsterte ich. »Ich meinte es nicht so.«
    Zu meiner Überraschung hörte ich ihn leise lachen.
    »Warum hast du es dann gesagt?«
    »Es tut mir leid. Ich hatte keinen eigentlichen Grund.«
    »Bei solchen Dingen weiß man trotzdem immer ein wenig warum.«
    Ich wandte das Gesicht von ihm ab.
    »Ich bin verwirrt. Mach es mir nicht schwer, Atan.«
    Tibets Reiternomaden sind nüchterne Realisten, aber sie verstehen die Macht der Leidenschaft. Und kein Mann hätte meinen Gefühlsausbruch zärtlicher aufnehmen können als er.
    »Es kommt vor, daß wir auf unserem Lebensweg stolpern. Du solltest dir keine Vorwürfe machen.«
    »Ich habe wenig Erfahrung mit Männern.«
    Er hatte seinen Arm aufgestützt; das spöttische Flackern eines Lächelns zog über sein Gesicht.
    »Das glaube ich nicht.«
    »Du machst dich lustig über mich.«
    Er befeuchtete seine Fingerspitzen mit der Zunge und legte sie auf meinen Mund.
    »Nein. Die Liebe ist kein Pferd, das man herbeirufen oder wegschicken kann.«
    Ich öffnete die Lippen; er schob seinen Finger tiefer in meinen Mund. Ich leckte leicht mit der Zunge an ihm, und sofort kribbelten meine Bauchmuskeln, spannten sich und erschauerten in neuem Begehren. Er merkte es sofort und blinzelte schelmisch. Ich schob ihn weg.
    »Oh, hör auf, mich nicht ernst zu nehmen! Ich habe unsere Beziehung nicht geplant. Womit das zusammenhängt, kann ich dir 419
    nicht sagen. Aber ich werde immer auf dich warten.«
    In der Dunkelheit konnte ich sein Gesicht kaum mehr erkennen, doch ich spürte, daß sich sein Ausdruck veränderte. Er sagte kehlig:
    »Jeder wartet auf irgendetwas. Chodonla wartet auf den Tod.«
    Ich verschloß mich ihm, rollte mich schwer atmend

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