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Die Tibeterin

Die Tibeterin

Titel: Die Tibeterin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Federica de Cesco
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auf die Seite.
    »Ich will, daß sie gesund wird.«
    Er seufzte.
    »Sie nicht. Ihr Geist ist zu stolz, um erniedrigt zu werden. Sie hat ihr Leben bereits aufgegeben. Der Gedanke gibt ihr Selbstachtung.«
    Ich sagte wie ein dummes Schulmädchen:
    »Es hat nichts damit zu tun.«
    »Es hat alles damit zu tun.«
    Ich hatte einen Kloß im Hals.
    »Das finde ich sehr töricht.«
    Er drückte sein Gesicht an meines.
    »Ja, das finde ich auch. Aber so liegen die Dinge nun mal.«
    »Und du?« flüsterte ich.
    Er bewegte seine Lippen an meinem Hals und sagte leise:
    »Wenn ich das verlassen muß – und das kann viele Male vorkommen – werde ich immer darauf warten, dich wiederzusehen.«
    In meinem Traum war jemand, der mich ansah. Ich spürte ganz deutlich eine Nähe, einen Blick. Der Atem, der über mein Gesicht streifte, war kälter als der Atem des Windes. Der Mond ging mit der Dunkelheit im Westen unter, und die Sterne schienen in der metallischen Stille der Nacht zu vibrieren. Als ich mich aus dem Schlafsack befreite, geschah es mit der Leichtigkeit und Sicherheit, die nur der Traum verleiht. Atan, der beim kleinsten Geräusch erwachte, schlief weiter. Träumend näherte ich mich dem Becken, ließ mich am Ufer auf die Knie nieder. Als ich mich über das Wasser beugte, sah ich, blaß wie eine Seerose, ein Antlitz schweben. Es war das Gesicht einer Frau, nachdenklich und von großer Melancholie.
    Das halb gelöste Haar verlor sich in der Tiefe. Ein dunkler Wasserfilm überglänzte das Gesicht, die halb offenen Lippen leuchteten karminrot. Es war mein Gesicht und doch nicht mein Gesicht; vor Kälte zitternd, beugte ich mich näher über den Rand des Beckens, bis mein Atem die Wasserfläche trübte. Da bewegte sich das Antlitz, deutete eine Lächeln an. Ich zitterte stärker; ich war mir mit jeder Faser meines Seins der Nähe dieser Kälte bewußt. Eine Vibration ging von ihr aus, eine Stimme und doch keine Stimme.
    »Wärme mich«, flüsterte das Wesen. »Mir ist so kalt… « Instinktiv 420
    wußte ich, daß ich träumte. Das Bild im Wasser konnte nicht sprechen – wenn ich nicht sprach. Auf einmal hob sich das Gesicht kaum merklich. Eine Luftblase entstieg dem purpurnen Mund, bevor sich das Traumbild trübte, wie ein weißer Schimmer in die Tiefe glitt. Von unbeschreiblicher Panik erfaßt, tauchte ich beide Hände ins Wasser, fühlte eisige, erstarrende Kälte. Meine Nägel kratzten an Steinen, an glitschigem Moos. Bei jeder Wellenbewegung hob sich das Antlitz ein wenig; ich versuchte es zu fassen, stocherte im Wasser herum. Verschwommene Flecken glitten über das Wasser, bewegten sich wie helle Funken in der Dunkelheit. Das Gesicht lag tief unten auf dem Grund. Es kam mir wie ein Bild vor, das man ansehen, aber nicht berühren konnte. Endlich fand ich einen festen Gegenstand, ein seilartiges, klebriges Gebilde. Krampfhaft zog ich daran; das Wasser schwappte hoch, aber ich bekam das Ding nicht los. Die Kälte schlug an mein Gesicht. Auf einmal löste sich der Gegenstand, das eisige Wasser spritzte nach allen Richtungen. Ich ließ mich auf die Felsen sinken, starrte benommen auf das, was ich in der Hand hielt: ein grünes Tangbüschel, pelzig und tropfend. Ich murmelte:
    »Wie eine Tote.«
    Ich warf das Büschel ins Wasser. Eine Kreiswelle breitete sich aus, eine saugende Kraft zog mich an. Mein Kopf war viel zu schwer, mein ganzes Gewicht rutschte nach unten. Ich machte eine nickende Bewegung und fiel. Arme fingen mich auf. Ich fühlte mich hochgehoben, in einer festen, warmen Umarmung gehalten. Sie war kein Traum, sie war spürbare Wirklichkeit. Ich schnappte nach Luft und mußte plötzlich entsetzlich niesen. Mein Körper, mein Kopf wurden vor Kälte geschüttelt. Was mir an Gefühl geblieben war, konzentrierte sich auf die Hände; der Schmerz war nicht auszuhalten.
    Andere Hände, braun und stark, schlossen sich um meine, rieben sie mit kreisenden, kräftigen Bewegungen. Meine Finger waren halb gekrümmt, die Haut durchscheinend weiß. Jeder Knorpel tat mir zum Verrücktwerden weh, aber dieser neue Schmerz brachte Wärme, brachte Leben. Das klumpige Gefühl ließ nach; ich konnte die Finger bewegen.
    »Komm! « sagte Atan.
    Er half mir hoch, führte mich zu dem Schlafsack, der noch warm von seinem Körper war. Ich kroch schlotternd hinein. Atan zog den Reißverschluß bis an mein Kinn.
    »Das Wasser ist fast unter dem Gefrierpunkt. Der 421
    Temperaturschock hätte dich töten können.«
    Endlich konnte ich sprechen.

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