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Die Tibeterin

Die Tibeterin

Titel: Die Tibeterin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Federica de Cesco
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Ahnen, ihre unterschiedliche Herkunft: Berge, Täler, Wüsten und Ebenen, Einwanderungen, Eroberungen. Er war ein Nachkomme jener, die einst unter Iskander – dem großen Griechen – südwärts gewandert waren, und ihr Blut mit dem Blut der Steppenbewohner gemischt hatten. Es gab viel Hochmut in ihm. Das gefiel mir. Und sicher war auch, daß die Quellen in seinen Adern oft entgegengesetzte Wege gingen.
    »Ich möchte auch so größenwahnsinnig sein wie du«, sagte ich. Er grinste.
    »Wir sind unverbesserliche Reaktionäre, dumm, faul, betrunken und kleptoman.«
    Nomaden lösen ihre Zöpfe aus Achtung vor Höhergestellten. Ich wurde nachdenklich, weil ich die Sitte kannte.
    »Du hast es vor mir getan…«
    »Du bist eine Frau, und ich nur ein Mann. Der Mann bringt den Tod, aber die Frau trägt das Kind.«
    Ich lachte. Er blinzelte mir zu.
    »Es ist nicht allein deshalb«, sagte er. »Wir haben viel Einbildungskraft. Die Han-Chinesen machen uns keinen Spaß. Ihre Bücher schreiben das tägliche Leben des Menschen für jedes Tagesstunde, für alle Phasen des Lebens, ja selbst für die Dauer des Schlafes vor. Der alte Konfuzius, der Vorsitzende Mao, wo ist der Unterschied? Zuviel Vollkommenheit macht benommen.
    Unterwürfigkeit steckt in ihnen seit Jahrtausenden. Wie zum Teufel, wollen die wissen, was Freiheit ist? Wir denken nie über die Freiheit nach, wir haben sie.«
    Ich fuhr mit dem Finger über seinen Mund: er öffnete die Lippen, saugte sanft an dem Finger.
    »Weißt du immer, was Freiheit ist?« fragte ich leise. Seine Zähne blitzten in der Dunkelheit.
    »Immer. Hauptsächlich dann, wenn ich mit den Füßen an der Decke hänge, das Gesicht im Urinkübel.«
    Meine Kehle wurde eng.
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    »Du bist wirklich bescheuert«, seufzte ich.
    Er lachte kurz auf. Dann wurde sein Gesicht wieder ernst.
    »Chodonla sagt, Khampas tragen einen Regenbogen im Herzen.
    Sie will damit sagen, daß unser Mischblut stärker ist.«
    »Ach«, murmelte ich, »sagt sie solche Dinge?«
    Ein Seufzer dehnte seine Brust.
    »Manchmal.«
    Ich wälzte die Sache seit Stunden im Kopf, hatte mich die ganze Zeit auf diesen Augenblick vorbereitet. Nun hing alles von ihm ab, von dem, was er jetzt sagen würde. Ich setzte mich hoch, warf mein Haar zurück.
    »Die Begegnung mit dir ist mir sehr wichtig, Atan. Du hast mir geholfen, Chodonla ein wenig…zu begreifen. Aber wie bringt mich das weiter, wenn ich nichts für sie tun kann? Angenommen, ich würde ein Visum als Touristin beantragen und sie in Lhasa besuchen?«
    Er schnalzte leicht mit der Zunge.
    »Man wird dir die Einreise schon erlauben. Aber du mußt es darauf ankommen lassen, daß die Behörden dich im Auge haben. Chodonla wird überwacht. Du könntest sie in Gefahr bringen – und sie dich auch, ohne es zu wollen.«
    Ich erwiderte kindisch:
    »Ich habe einen Schweizer Paß.«
    Er hob wegwerfend die Schultern.
    »Der nützt dir nichts. Auch Touristen werden bedroht. Paß, Kameras und Filme werden beschlagnahmt. Die Polizei durchstöbert jedes Hotelzimmer; sie scheucht die Touristen aus dem Schlaf, beschnüffelt die Bettwäsche, wühlt in den Koffern und sucht an Türklinken nach Fingerabdrücken. Natürlich empfinden das die Touristen als Frechheit, aber sie haben Angst, und darum geht es ja.
    Sich schlecht zu fühlen ist ein Zeichen, daß man irgend etwas falsch macht. Leider haben Tibeter, die sich mit Ausländern anfreunden, selten die Zeit, so klug zu werden. Für sie gilt ein besonderes Schnellverfahren: Landesverrat. Bestrafung ohne Gerichtsprozeß.
    Offiziell heißt es, wir hinterwäldlerischen Exoten leben in Wohlstand und Entzücken, und die Probleme entstehen erst durch den Kontakt mit reaktionären Elementen und ausländischen Spionen.
    Man könnte dich erfolgreich zur Heldin machen, Tara. Bleibt die Frage, ob du das willst.«
    Karma hatte mich bereits gewarnt, Atan bestätigte schonungslos 190
    ihre Befürchtungen. Aber es war keine Angst in mir, nur Widerspruchsgeist. Das Leben hatte es mir bisher leicht gemacht, das war in Ordnung so, ganz normal. Irgendwie war ich jetzt dran.
    Warum sollte ich da meine Kraft sparen?
    »Soll ich sagen, was ich denke?«
    »Sag es.«
    »Hör zu, Atan, ich habe in solchen Dingen tatsächlich wenig Erfahrung. Den Horror dieser Welt sieht man bei uns im Fernsehen, aber wenn einem das Zeug zuviel wird, schaltet man das Gerät ab.
    Ich bin nicht vermessen und will auch keine Heldin werden. Nein, danke. Aber Chodonla soll nicht mit dem Gedanken leben,

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